Bearbeitung: Ursula Tenne
Hermann Zander, geb.1897, erzählt:
Also gut, wie gesagt, am 9. November 1919 war die Revolution. Die noch intakten Sicherheitskräfte, Polizei und Feuerwehr hatten es in der jungen Republik schwer und waren überfordert, nach der Turbulenz der Revolution wieder Ordnung zu schaffen.
Zur Unterstützung der Sicherheitskräfte wurden Freiwillige gesucht und viele Kollegen, darunter auch ich, meldeten sich mit Erlaubnis der Bankdirektion am 12. Juni 1919 auf dem Altonaer Fischmarkt beim Freikorps “Bahrenfeld”. Es waren 4 Züge (je 30 -35 Mann).
Ich gehörte zum 4. Zug. Wir sollten den Hafenbezirk vor Plünderern schützen. Die übrigen Züge stürmten das Rathaus, verloren es aber wieder an die Roten. Wir konnten nicht gegen die Roten an.
Die “Reichsexekutive” wurde verfügt, d.h. die neue, reorganisierte Reichswehr wurde eingesetzt, das Rathaus wurde befreit.
Am Rathaus kann man heute noch im Fensterbereich Spuren der Kugeleinschläge sehen. Unter dem Kommando des legendären Verteidigers, General von Lettow-Vorbeck, brach der Widerstand bald zusammen. Mit einer Parade auf dem Spielbudenplatz auf St. Pauli endete für mich diese militärische Episode.
Am 31. Oktober 1921 wechselte ich von der Vereinsbank zum Devisenhändler Heymann Lippstadt. Zur Commerzbank ging ich ab dem 2. Januar 1922.In diese Zeit fällt die sich immer rascher drehende Inflation, wobei ich die Möglichkeit hatte, auf Valuta (Geld fremder Währung) auszuweichen.
Was nach Feierabend noch an Reichsmark übrig war, wurde verjubelt oder in Ware umgesetzt. Wir waren ein fideler Kollegenkreis, zu dem auch dann und wann mein Vater stieß.
Einmal passierte es, dass wir nach dem letzten Trunk in “Mampes Stuben” auf dem Jungfernstieg, noch weiter wollten. Wir stiegen in einen Wagen der HEDAG (Hamburger-Electrische-Droschkenwagen AG) und landeten unversehens in der Herbertstraße (eine Bordellstraße) und landeten unversehens in der Herbertstraße (eine Bordellstraße).
Mein Vater bemerkte das und sprach die denkwürdigen Worte: “Hermann, mein Sohn, hier sind wir fehl am Platze !” und fuhren erhobenen Hauptes und umgehend nach Hause und stellten beide fest, dass wir nicht mehr soviel Geld hatten, um die Fahrt zu bezahlen. Wir klingelten und Lowieschen musste uns auslösen.
Als ich bei der C&P-Bank, der “Cöhm- und Punschbank” (Commerz- und Privatbank) war, stand die Inflation in höchster Blüte. Wir rechneten mit Billionen und Trillionen. Die Banknoten lagen zu “Ziegelsteinen” gebündelt in der Kasse.
Der Dollar galt am 20. November 1923 4,2 Billionen (4.200.000.000.000 ) Papiermark.
Es war nun so, dass wir uns keine Gelegenheit entgehen ließen und die Papiermark in Dollars umtauschten. Es blieb aber abends immer noch Papiermark übrig, die wir in “Gustavs Kneipe” umsetzten. Am anderen Morgen, es war ein Sonntag, saßen wir friedlich beim Kaffee.
Ich sah meinen Vater an und merkte, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Er guckte Mama an und sagte ganz höflich und bescheiden: “Lowieschen, kann ich das Geld von gestern bis zum Ultimo wiederhaben?” Und Lowieschen war so nett. Einmal kamen wir von einer Tour und mein Vater bat: “Lowieschen, wir möchten noch ein Tässchen Kaffee!” “NEIN!” “Aber Lowieschen, ich bezahl’ das auch!” Der Alte ging zu seinem Schreibtisch und holte seine Reserven raus, wir kriegten unseren Kaffee und Lowieschen steckte das Geld ungeniert weg.
Am anderen Morgen, das war ein Sonntag, guckte er seine liebe Frau an und sagte in seinem ostpreußischem Dialekt: “Ach Lowieschen, kannste mir dat Jeld nich bis zum Ärsten leihen?
Wegen Inflation, Deflation und Regression musste der Bankbetrieb verkleinert werden. Man legte mir nahe, meinen Platz zugunsten eines Familienvaters mit zwei Kindern aufzugeben. Das war am 11. April 1924. Man vermittelte mich aber zur MATAK (Tabakhandel). Das ging vom 15. April 1924 bis 30. November 1924, da war die MATAK pleite. Aufgrund von Papas Beziehungen konnte ich am 1. März 1925 bei “Karl Schrader, Fleischwaren” anfangen, wo meine “Leidenszeit” anfing und bis zum 30. Juni 1936 dauerte.
Ich erinnere mich auch noch, dass die Beamten immer sehr wortkarg waren und die Kontrolle unserer Papiere oft unnötig in die Länge gezogen wurde. Viele Beamten haben ihre Macht zur Schau gestellt. Man musste alle Gegenstände einzeln aus den Taschen nehmen, bei Fotos sollte man die Namen der auf dem Foto zu sehenden Personen nennen.
Ein junger Mann berichtet über seine Teilhabe bei der Novemberrevolution im Freikorps „Bahrenfeld“.
Darüber hinaus stellt er dar, welche Auswirkungen die Inflation auf sein Berufs- und Familienleben hatte.
Frau H. sagte: “Wäre ich Häftling gewesen, ich wäre auch durch die Postenkette gerannt. Lieber tot, als so ein Leben. So etwas Schreckliches habe ich in meinem ganzen Leben nicht noch einmal gesehen.”
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können