Du wurdest ein Jahr vor Kriegsende geboren, also hast du von der Zeit des Krieges nicht viel mitbekommen. Hattest du Verwandte, die in dieser Zeit gelebt haben?
Ja, meinen Vater. Also dein Urgroßvater hat in dieser Zeit gelebt. Er ist 1904 in Schlesien geboren in Würgsdorf, hat da auch seine Kinderjahre verbracht und ist dann irgendwann im Laufe des Erwachsenwerdens nach der Ausbildung als Maschinenschlosser von Schlesien weggegangen Richtung Norddeutschland. Und als dann die Zeit kam, wo Hitler sich sozusagen starkgemacht hat und schon die ersten Gruppen von Nazis unterwegs waren und in Uniformen Leuten wie Rattenfänger hinterherliefen, hat man auch schon gemerkt, der ist irgendwie darauf aus, andere Menschen in seine Visionen zu zwingen und etwas, was quasi gegen Freiheit und Demokratie verstößt, anzufangen. Und dieses Denken, dass all ´die anderen, die ihm nicht folgten, minderwertig sind, haben auch viele Menschen nicht als richtig empfunden.
Und wie hat mein Urgroßvater über Hitler gedacht?
Deinem Urgroßvater ging es wie den Menschen, die Hitlers Treiben nicht als richtig empfunden haben. Der war ja auch noch ein junger Mann in der Zeit um 1930. Da war er also in dem Alter, wo man sich für diese Dinge interessiert und war damit nicht einverstanden. Er hatte die Vision, dass man was unternehmen musste. Da gab es dann auch viele Gruppen, die gegen diese Art von Herrschaft waren. Unter anderem eine kommunistische Gruppe. Denen hatte er sich wohl auch zugehörig gefühlt, mit der Idee, dass alles der arbeitende Mensch sein sollte, der über Dinge bestimmt und, dass jeder mit jedem auskommen sollte. Da gab es Leute aus allen Teilen der Gesellschaft, zum Beispiel Evangelische oder Freigläubige. Die waren alle auch der Ansicht, dass das nicht in Ordnung war, was Hitler tat.
Hatte die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Nachwirkungen?
Als es mit den hitlerschen Ambitionen immer weiter ging und auch die Kinder schon dressiert wurden, also die Jungs marschieren mussten und die Mädchen alle in irgendwelchen Korps und Kadern zusammengezogen wurden, haben sie angefangen, Flugblätter zu verteilen, wo drauf stand, dass sich die Leute nicht von Hitlers Visionen anstecken lassen sollten. Dann hat es mit der immer größer werdenden Macht von Hitler dazu geführt, dass KZ, also Konzentrationslager, Gefängnisse eingerichtet wurden und dass eben dein Urgroßvater aufgrund davon, dass Leute aus der Nachbarschaft ihn verraten haben, denunziert worden ist und dann wurde er als politischer Gefangener in das spätere KZ Fuhlsbüttel gebracht. Da musste er also erst einmal hinter Gittern leben.
Wie lange war er im Konzentrationslager?
Er war vom 16. Oktober 1931 bis zum 22. Dezember 1934 gefangen. Einmal wurde er aber verlegt nach Lübeck, ich glaube Lauerhof.
Was ist danach passiert bzw. wieso wurde er freigelassen?
Als die Zeit dann fortschritt und der Krieg sozusagen noch nicht da war, aber alles schien darauf hinauszulaufen, dass der Hitler mit Gewalt, die Leute alle überrennen wollte und ein großes deutsches Reich gründen wollte, da waren dann eben die anderen Nachbarländer ihm sozusagen ausgeliefert, wenn sie nicht an seiner Seite waren, wie Italien mit Mussolini als Führer oder so. Auf alle Fälle ist dein Urgroßvater irgendwann, ich glaube nach drei Jahren, nachdem Hitler sozusagen in den Krieg eingetreten ist, indem er Polen überfallen hatte, freigekommen, da sie nun alle gebraucht haben als Soldaten und dann musste auch dein Urgroßvater gezwungenermaßen Soldat werden. Er hatte früher schon immer ein Faible für Motorräder und Motorradfahren und hat sich dann wahrscheinlich gemeldet, dass er als Kradmelder, also als Soldat der mit dem Motorrad dann Botenwege fährt und Meldungen überbringt und so weiter. Da ist er dann in diese Geschichte reingerutscht. Er ist dann Kradmelder geworden für eine gewisse Zeit und musste dann also auch nach Russland an die Front. So, und da haben sie dann auch Winterzeiten durchleben müssen und waren irgendwo in Richtung Uralgebirge unterwegs, wo sie hinmussten mit ihren Bataillonen. Und dann haben sie in so kleinen Dörfern halt gemacht und haben also sozusagen auch noch Leute angetroffen, die da noch lebten, das waren überwiegend Dorfbewohnerinnen, Kinder und Alte, weil die meisten jüngeren Leute ja auch in Russland an die Front mussten und gegen Deutschland kämpften. Dort haben sie dann versucht, sich mit der Bevölkerung gut zu stellen, da es ihnen nicht darum ging, diese zu massakrieren, weil sie wollten diesen Krieg ja auch nicht. Also haben sie versucht, ihr Gesicht vor ihren Oberbefehlshabern und Kommandanten zu wahren, aber wollten den Leuten dort eigentlich nichts tun. Und sie haben auch versucht, die Leute immer freundlich zu behandeln und haben ihnen Lebensmitteln und solche Sachen gegeben. Und bei einigen von denen, die damals Holzhäuser aus groben Hölzern hatten, haben sie sich dann niedergelassen und viele Wochen verbracht. Dann wurden sie wieder abkommandiert und mussten weiter.
Die Front hat sich dann verschoben Richtung Stalingrad. Und dein Urgroßvater war also mit seinem Motorrad als Melder teilweise vorweg. Dann wurde das Wetter auch wieder milder und der Frühling kam, also sind sie dann auch immer steckengeblieben in dem Morast, weil das war ja alles wildes Land und Tundra. Keine asphaltierten Straßen oder so was. Die Bauern sind da auch mit Pferd und Karren hinterhergezogen. So haben die da gelebt. Na ja, so haben die da wohl auch schwere Zeiten durchgemacht. Einmal hat er erzählt, als sie im Winter ihre Lager gemacht haben unter den Motoren ihrer LKWs immer Feuer machen mussten, damit sie die überhaupt anbekommen haben nachher. Weil das alles eingefroren war. So, und irgendwann, ich weiß nicht mehr genau in welchem Jahr das gewesen ist, aber es war dann eben mitten im Krieg in Russland, da sind sie wohl auf eine Gegenfront gestoßen mit russischen Soldaten und da wurde dann natürlich auch geschossen und dann hat dein Urgroßvater also einmal das Glück gehabt, dass eine Kugel auf diesem blechernen Brillenetui (zeigt mir das Etui), das war sozusagen seine Schießbrille oder was, und die hatte er wohl irgendwie in seiner Soldatenjacke drinnen gehabt, abgerutscht ist und ihn nicht am Körper getroffen hat. Da hatte er Glück gehabt. Aber irgendwann später, als sie dann weiter Richtung Stalingrad gezogen sind mit den Bataillonen, da ist er bei Kämpfen dann auch getroffen worden, indem er zwei Durchschüsse in die Arme hatte. Das war wiederum sein Glück, weil er da auf Genesungsurlaub nach Hause kam und dann auch in so einem Frontlazarett operiert werden musste. Dort wurden dann die Kugeln rausgeholt und er wurde dann zum Genesungsurlaub nach Hamburg geschickt.
Dann hatte er das Glück in sofern, dass er dann nur noch in Deutschland eigentlich quasi in der Endphase des Krieges wieder als Kradmelder in Schleswig-Holstein unterwegs war. Da musste er dann von Kaserne zu Kaserne irgendwelche Unterlagen bringen oder als Bote irgendwelche Nachrichten übermitteln. Er musste, wie gesagt, nicht mehr zurück nach Russland an die Front, weil sich schon abzeichnete, dass die Alliierten von allen Seiten gekommen sind. Die Russen, die Franzosen, die Engländer, die Amerikaner. Und dann ist er sozusagen noch mal mit einem blauen Auge davongekommen. Mit Verletzungen, aber die sind dann nicht so schwer gewesen, dass er daran gestorben ist oder so. Ja und dann nachher, als die Alliierten kamen sozusagen, dann war die Kapitulation, ich glaube am 8. Mai 1945. Dann waren auch die Engländer hier in Hamburg als alliierte Macht eingetreten sozusagen. Der Stadtkommandant von Hamburg, ich glaube, der hieß Kaufmann, hat dann Gott sei Dank der Kapitulation zugestimmt, die manche Bürger schon in die Wege geleitet haben, indem sie eigenständig mit den Alliierten, die schon in der Lüneburger Heide gewartet haben, dass sie nach Hamburg reinkonnten, schon die ersten Verhandlungen erreicht hatten. Und daraufhin wurde Hamburg sozusagen mehr oder weniger kampflos eingenommen. Aber Hamburg war ja auch schon durch die Bombenangriffe der Alliierten eine Ruinenstadt. Dein Urgroßvater hatte ja das Glück gehabt, dass er zu dem Zeitpunkt schon mit seiner Familie in Moorfleet gewohnt hat und dort Gott sei Dank nicht so starke Bombenangriffe stattgefunden haben. Und zu diesem Zeitpunkt war ich auch schon Teil seiner Familie, da ich ja am 17. Mai 1944 geboren wurde.
Dann warst du ja in der Nachkriegszeit ein kleines Kind. Was weißt du davon noch?
Knapp ein Jahr nach meiner Geburt war der Krieg dann zu Ende. Und dann haben wir auch Verwandtschaft und Bekanntschaft aufgenommen, weil wir Verwandte in Hamburg hatten, die wohnten in Horn oder Wandsbek und die waren ausgebombt, hatten keine Wohnung mehr und kamen dann sozusagen zu Fuß aus der Ruinenstadt gepilgert aufs Land. Und da wir ja auch 2000 Quadratmeter Land hatten, meine Mutter ja auch ganz fleißig immer was gepflanzt und gesät hat und wir Kaninchen und Hühner hatten, hatten wir ja auch immer irgendwas zu essen und dann wurden die Leute auch unterstützt damit.
Und mein Urgroßvater, also der Vater meines Großvaters, hat dann auch zu diesem Zeitpunkt bei uns gewohnt, weil seine Frau, die Mutter meines Opas, hatte auch in Hamburg gelebt. Aber bei den Bombenangriffen ist sie in ihre Heimat nach Schlesien, Würgsdorf, zurückgegangen, sie wurde sozusagen dahin evakuiert, weil da lebten noch Verwandte. Dann ist sie dahingegangen, aber er ist hier geblieben, ihr Mann. Der wohnte dann sozusagen bei seinem Sohn und dann kriegten die ein Telegramm im Juli 44, ja ich war da geboren und sie hatte mich auch noch gesehen als Baby, also die Frau von meinem Urgroßvater. Dann ist sie aber, wie gesagt, zurück nach Schlesien und hat da einen Herzinfarkt bekommen und ist in Würgsdorf gestorben. So war er also Witwer, mein Urgroßvater hat noch eine ganze Weile bei uns gewohnt und ist später in Rothenburgsort ansässig geworden, in einer kleinen Wohnung bei einer Witwe, die hat Zimmer vermietet.
Ja, wie gesagt, war die Nachkriegszeit auch schwierig. Dann kamen ja auch die Alliierten und wollten natürlich wissen, wer Nazi war. Natürlich ist keiner mehr Nazi gewesen. Die Männer mussten also belegen, wie ihre Gesinnung gewesen ist und mein Vater konnte durch seine Entlassungspapiere vom KZ nachweisen, dass er kein Nazi war. Dort hat er auch etliche Leute kennengelernt, die also auch gegen Hitler waren und aus verschiedenen Gründen ins KZ kamen. Später war das so, dass ein Nachbar aus der Kolonie, wo mein Vater wohnte mit uns, der auch gegen Hitler Widerstand geleistet hat und der auch zeitweise sozusagen unter Beobachtung gestanden hat, mit Hausdurchsuchung und irgendwelchen Repressalien belastet wurde. Mein Vater konnte mit einem Brief, den er geschrieben hat, diesen Nachbarn sozusagen unterstützen, dass er damit zu den Alliierten gehen und sagen konnte ‘ja ich habe auch Widerstand geleistet und das ist ein Mensch, der kennt mich und weiß, dass ich auch mit ihm zusammen gegen Hitler was unternommen habe’ und das ist eben dieser Brief hier, den mein Vater geschrieben hat (zeigt mir den Brief), dann hat er also geschrieben: „Erklärung, Hamburg 15. Juni .1946“ also da fing dann ja die Aufarbeitung an. „Ich erkläre hiermit, dass mein Kamerad seit 1930 als überzeugter Antifaschist bekannt ist. Ferner bezeuge ich, dass er als solcher verschiedene Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch die Gestapo über sich ergehen lassen musste. Nach 1933 unterhielt er eine enge Beziehung auch zu den kommunistischen Genossen und war unbedingt vertrauenswürdig in der illegalen Arbeit gegen den Faschismus.“ Dann hat er noch Name, Adresse, usw. da unter geschrieben, ich weiß aber, dass ein Brief nicht genügt hat, also mussten auch noch andere für denjenigen aussagen. Dann sind sie entnazifiziert worden durch die Alliierten und wurden quasi nicht noch irgendwie belangt.
Später haben sich ja ganz viele Menschen, die schlimm waren, weggeschlichen und waren plötzlich niemals bei den Nazis dabei gewesen. Dass er zum Beispiel auch für seine spätere Fahrertätigkeit eine Medaille gekriegt hat „im Namen des Führers“, das hat er sich natürlich nicht gewünscht, aber es ist ihm nichts anderes übrig geblieben. So waren die Dinge.
Als der Kalte Krieg ausbrach, hat sich dein Urgroßvater jedoch auch von der kommunistischen Idee verabschiedet, weil er gemerkt hat, dass es niemals so werden würde, wie er es sich vorgestellt hat. Also hat der Kommunismus dann auch nie seiner Idee entsprochen.
Seine Enttäuschung war groß, wie auch die vieler seiner Brüder, sodass die Hälfte von ihnen schon nach wenigen Monaten aufgaben. Statt geistlicher Betreuung musste viel Arbeit erledigt werden. Taschengeld gab es anfangs 10 DM pro Monat, später dann 20 und 30 DM.
„Es wurde noch schlimmer, als einen Monat später meine Mutter starb.“
Als wäre es nicht schon schlimm genug, begann 1939 auch noch der 2. Weltkrieg.
Die Geschichte eines Mädchens, welches trotz eines schweren Schicksalsschlages sein Leben nach 1939 meisterte.
1933, vor meiner Geburt, wurde mein Vater kurzfristig verfolgt, da er eine sozialistische Gesinnung pflegte und nichts von den Nationalsozialisten hielt. Sie kamen zu meiner Großmutter und wollten meinen Vater festnehmen, allerdings konnte er fliehen.
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Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können