Ergebnisse eines Interviews mit H. Graumann (*1930)
Helga Graumann ist 1930 geboren und wuchs in einer Wohnung in Hamburg auf. Mit elf Jahren wurde sie zum ersten Mal “kinderlandverschickt”. Ihr Vater war im Krieg Soldat und kam nach einem Jahr Gefangenschaft 1946 schwer mitgenommen nach Hause.
Krieg und Kinderlandverschickung
Kinderlandverschickung/ KLV:
Im Jahr 1941 wurde Helga Graumann mit elf Jahren zum ersten Mal von zu Hause weggeschickt, da es in Hamburg zu gefährlich für sie war. Sie fuhr nach Rügen. Anschließend fuhr sie für ein halbes Jahr nach Ungarn, wo sie eine sehr schöne Zeit verlebte. Sie wohnte zuerst mit einem anderen deutschen Mädchen in einer Familie und half auf naheliegenden Höfen. Aber, nachdem dort jüdische Dorfbewohner verschwanden, wollte die Familie sie nicht mehr beherbergen und sie kamen beide in unterschiedliche Familien.
1943, als der Krieg seinen Höhepunkt erreichte, war sie in Sachsen, da es so am sichersten war. Man bekam dort nicht viel vom Krieg mit, außer dem, was in der Zeitung stand. Zu essen gab es immer genug, gegen Ende des Krieges zwar etwas weniger, aber niemand musste hungern.
Als sie im November 1943 wieder nach Hause durfte, wurde sie von einer älteren Dame begleitet, die ebenfalls nach Hamburg wollte. Sie fuhren mit einem Dampfzug, der total überfüllt war. Sie wurde von einem Soldaten durch ein Fenster in den Zug gehoben. Manche Menschen saßen sogar auf dem Dach.
Bombenangriffe in Hamburg:
Helga Graumann wohnte als Kind zur Zeit des Krieges in einer Wohnung in der Stadt im vierten Stock. Man ging mit seiner Kleidung schlafen, da jede Nacht die Sirenen gegen 22.30 Uhr losgingen. So musste man sich nur noch schnell den Mantel überwerfen und in den Keller laufen.
Es wurden über Hamburg viele Brandbomben abgeworfen, wobei den Eltern ihrer Freundin etwas ganz Schlimmes passierte. Ihr Haus fing nach Abwurf einer dieser Bomben an zu brennen und sie rannten auf die Straße. Die Straße war nun so heiß geworden, dass sie regelrecht festklebten und verbrannten. Dies musste sie zum Glück nicht mit ansehen.
Die Nachkriegszeit in Hamburg
Flüchtlinge:
Sie erzählte von vielen Flüchtlingen aus dem Osten, die vor den Russen flohen. Sie wurden auf der Straße von Flugzeugen aus beschossen.
Manche gingen im Winter über die zum Teil zugefrorene Ostsee. Durch die vielen Wagen, die dort entlang fuhren, brach das Eis manchmal ein und eine ganze Familie versank mit Pferd und Wagen.
Auf dem Hof ihrer späteren Familie fanden einige Flüchtlinge in einer Scheune Unterschlupf.
Die Flüchtlinge waren ihrer Meinung nach am schwersten von allen betroffen, da diese alles verloren hatten.
KZ-Neuengamme:
Einmal habe ich als kleines Kind Männer am Kanal arbeiten sehen. Ich fragte meine Mutter, warum sie Sträflingskleidung anhätten. Sie sagte, dass es Gefangene seien. Ich fragte, warum sie gefangen seien, und sie antwortete, dass es Kriegsverweigerer seien. Da dachte ich mir, dass es ja gut ist, dass sie dann so etwas machen müssen.
Lebensmittelkarten:
Jeder bekam damals Lebensmittelkarten, die “zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig” waren. Es gab sogenannte “Schwerstarbeiter”, die mehr Lebensmittel bekamen. Es war viel Aufwand für die Geschäfte, da die Karten jedes Mal ausgeschnitten und eingeklebt werden mussten.
Schwarzmarkt:
Sie erzählte, dass es in Hamburg einen Schwarzmarkt gab, auf dem Sachen, vor allem Lebensmittel, unter der Hand getauscht wurden. Geld wollte niemand haben, da es nichts mehr wert war. Man wurde zum Beispiel mit “Zigaretten?” angesprochen und kam eventuell ins Geschäft. Ein Bowlegefäß mit Gläsern, das sie geschenkt bekommen hatte, tauschte ihre Mutter dort gegen Lebensmittel ein. Ab und zu gab es auch eine Razzia auf den Schwarzmarkt.
Viehzählung:
Es gab nach dem Krieg sogenannte Viehzählungen, bei denen festgestellt wurde, wie viel Vieh eine Familie hatte. Ein bestimmter Teil musste jeweils abgegeben werden. Deshalb versteckten viele Familien ihre Tiere, da sie sie selber zum Überleben brauchten.
Ein Schwein wurde in Helgas Familie auf dem Hof in Billwerder in einer Räucherkammer auf dem Dachboden großgezogen, damit es nicht gesehen wurde.
Eine Freundin von ihr lud jedes Mal die Schweine auf eine Kutsche und fuhr mit ihnen so lange durch die Boberger Dünen, bis eine weiße Fahne aus dem Fenster ihres Elternhauses hing.
Kohlenklau:
Ein Bahngleis in der Nähe des Hofes, auf dem sie lebte, führte zu einer Pulverfabrik. Diese wurde von den Amerikanern entdeckt und unter Beschuss genommen. Deshalb seien auch so viele Bomben in Billwerder gelandet.
Nachts ging man zu dieser Schiene und klaute die Kohlen. Es war Winter und man benötigte etwas zum Heizen.
Der Staat fällte die Bäume in Billwerder, um die Büros der Beamten heizen zu können. Die Bauern überlegten nicht lange und sägten nachts die Bäume an, um diese dann im Morgengrauen mit Pferden auf dem Hof verschwinden lassen zu können.
Trümmer und Leichen:
Sie erzählte, dass sie einmal im November am Berliner Tor am Bahnhof stand und es dort sehr stark nach Verwesung gerochen hat, da dort alles zerbombt wurde und in den Trümmern noch viele Leichen lagen – und das ein paar Monate nach dem Krieg. Um das Gelände war Kalk und anderes gestreut, damit keine Krankheiten durch Ratten übertragen werden konnten.
Frau Z. musste auch im Krieg in den Bund deutscher Mädchen eintreten […] Dass Frau Z. Mischling zweiten Grades war, war beim BDM kein Problem. Sie durfte nur nicht Anführerin werden, was sie aber auch gar nicht wollte.
“Erst 1943 war für mich richtig Krieg. Ich kam dann nach Bayern, durch die Kinderlandverschickung. In Bayern war es ruhiger, es gab kaum Fliegeralarm. Wir waren in der Oberpfalz. Süddeutschland wurde weniger berührt, Hamburg war gefährdeter.”
In der Schule gab es ein neues Fach “Luftschutzalarm”. Wir mussten beim Ertönen der Sirenen in den Keller flüchten, die Gasmaske aufsetzen und üben, durch das Brandloch in der Mauer von einem Keller in den anderen zu gelangen, bis wir die Flucht nach draußen geschafft hatten. Zuerst war es lustig, später nicht mehr!
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können