"Mein Happy End“. Eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg

Das Interview haben Lasse Blum und Patrick Bimpage geführt

Mein Name ist Ursula Vaupel und ich wurde am 26. April 1925 geboren.

 

Wie alt waren Sie während des Krieges?
Als der Krieg ausbrach, war ich 14 Jahre alt. 1940 war der Krieg schon im Gange, ich musste ein Pflichtjahr auf dem Land machen. Nach dem Pflichtjahr bin ich dann zurück nach Hamburg gekommen und habe Industriekauffrau von 1941 bis 1944 gelernt.

 

Als was haben Sie während des Krieges gearbeitet?
Ich habe Industriekauffrau in der Fleischwarenfabrik im Kontor gelernt. Da musste ich Aufträge annehmen und war in der Buchhaltung tätig. Das war damals durch die Rohrpost verbunden, weil das ziemlich weit auseinander lag. In der Spedition wurde alles fertiggemacht und dann kam es mit der Rohrpost rüber in die Buchhaltung.

 

Wie haben Sie vom Krieg erfahren, als er begonnen hat?
Wenn man in der Firma arbeitete, bekam man nicht so viel von der Aufrüstung mit, will vielleicht auch von so was nichts mitbekommen. Aber dann war da mit Polen „ein bisschen Streit“.

 

Wissen Sie, wobei es „um den Streit“ ging?
Nein, leider nicht. Ich weiß nur, dass viele Leute aus Deutschland als Soldaten eingezogen wurden.

 

Haben Sie, wo Sie wohnten viel von den Zerstörungen mitbekommen?
Wir haben städtisch gewohnt und ja, da haben wir natürlich die Bombenangriffe miterlebt. Wir waren dann im Bunker, wenn der Alarm kam.

 

Wie war es im Bunker?
Das war nicht angenehm dort zu sein. Wir lebten in der Rellinger Straße in Eimsbüttel und wenn der Alarm kam, kamen die Leute aus ihrem Haus gerannt und mussten dann durch unsere Wohnung, die im Erdgeschoss lag, durch, weil es von da in den Garten und von unserem Garten aus zum Bunker ging.

 

Wie waren Ihre Wohnzustände?
Wir hatten eine Dreizimmerwohnung im Erdgeschoss mit Garten, der an den Bunker grenzte, das hatten damals wenige Bürger. Viele hatten es schwer, überhaupt eine Wohnung mit Badezimmer zu finden. Wir hatten eine große Wohnküche, einen Flur, hinten einen kleinen Garten und dahinter eine Laube.

 

Sie hatten schon erzählt, Verwandte von Ihnen mussten nicht in den Wehrdienst, warum?
Nein, da waren einige schon älter und waren im Ersten Weltkrieg gewesen, deswegen waren sie für den Zweiten Weltkrieg zu alt.

 

Welche Altersgruppe wurde ungefähr zur Wehrmacht gerufen?
Junge Männer ab 20 oder ab 21 Jahre, später am Ende des Krieges änderte sich das, da wurden auch schon Jungen ab 14 rekrutiert.

 

Wie haben Sie im Allgemeinen den Krieg miterlebt?
Naja, zwischen immer wiederkehrendem Fliegeralarm, habe ich versucht, nicht viel vom Krieg mitzuerleben. Es wurden ja immer mal wieder Teile von Hamburg zerstört und ausgebombt.

 

Hamburg wurde ja erst später zerbombt, aber davor die Jahre, als Deutschland mit dem Blitzkrieg andere Länder eingenommen hatte, wie haben Sie das so miterlebt?
Es gab ja kein Fernsehen und dergleichen, deswegen habe ich es erst mitbekommen, wenn ich mal ins Kino gegangen bin und mir die Vorschau bzw. die Werbung angesehen habe. Es wurde dann auch immer so erzählt, dass Deutschland gut dastand und so und so viel Juden deportiert wurden, worunter ich immer verstanden habe, dass die Juden ins Ausland gebracht wurden, um dort zu leben. Vom Krieg an sich habe ich nicht viel mitbekommen, erst als Hamburg zerbombt wurde.

 

Also dachten Sie, den Juden ginge es im Ausland nicht schlecht?
Ja, so ungefähr, ich habe das jedenfalls so verstanden, aber wahrscheinlich sind sie in so ein Lager gekommen. Aber zu diesem Zeitpunkt wussten wir das überhaupt nicht, das hat man erst praktisch nach dem Krieg erfahren.

 

Was war Ihre schlimmste Erfahrung während des gesamten Krieges?
Der schlimme Bombenangriff auf Hamburg 1943. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade im Urlaub von meiner Arbeit, also da, wo ich gelernt hatte. Ich war bei meinen Großeltern in Uelzen (Stadt in Niedersachsen). Als ich das gehört hatte, konnte ich anfangs nicht zurückfahren, weil eben alles kaputt war, also die Elbbrücken usw. Deswegen musste man nachher einen Umweg nördlich über die Elbe fahren. Als ich zurückkam, lag innerhalb Hamburgs alles in Schutt und Asche. Wir mussten über Trümmer steigen und es gab kein Wasser. Gott sei Dank hatten wir aber auch Glück gehabt, da die Wohnung meiner Eltern nicht zerstört worden war. Da es kein Wasser gab, weil die Wasserleitungen kaputt waren, musste man immer Wasser vom Wasserwagen holen. Da habe ich wirklich verstanden, dass Krieg herrschte.

 

Es war bestimmt ein großer Schock, als Sie erfahren haben, dass Hamburg zerbombt wurde?
Ja, vorher wurden ja auch schon immer mal wieder Stadtteile zerbombt, aber nicht in so einem Ausmaß.

 

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das erste Mal davon erfuhren, dass Hamburg angegriffen wurde und dass die halbe Stadt oder sogar noch mehr in Schutt und Asche lagen?
Man war wie gelähmt, man konnte es nur glauben, wenn man es gesehen hatte. Ich habe mal die zerstörte Stadt gesehen, als ich in der Firma, wo ich gearbeitet habe, war, wie plötzlich Fliegeralarm gegeben wurde. Wir hörten Flugzeuge und als wir dann nach oben blickten, sahen wir, wie ein Flieger seine Bomben fallen ließ. Wir rannten sofort runter in den Keller der Firma. Dadurch, dass die Firma stabil gebaut wurde und mit meterdicken Mauern ausgestattet war, es war ja eine Fleischwarenfabrik, hat diese den Krieg überlebt. Es gab nur geringen Schaden an diesem Gebäude, als der Krieg zu Ende war. Ende 1944 wurde auch ich eingezogen, durch den  „Reichsrbeitsdienst“ zur Bedienung der Scheinwerfer als FLAK-Waffenhelferin.

 

Was war die FLAK genau?
Wir sind zur Bedienung der Scheinwerfer eingezogen worden und immer, wenn ein Luftangriff folgte, mussten wir versuchen, anhand der Scheinwerfer die Flugzeuge bzw. die Piloten zu blenden, damit sie ihr Ziel nicht treffen konnten. Im Krieg musste in den Wohnungen alles verdunkelt werden, damit sie keine Lichter sehen und man mit den Scheinwerfern die Flugzeuge blenden konnte bzw. anstrahlen konnte.

 

Was war das für ein Moment für Sie, als Sie erfuhren, dass Sie zur FLAK mussten?
Das war nicht so angenehm. Wir wurden dafür ja auch noch ausgebildet. Wir mussten Leitungen legen und mit Steigeisen Masten hochsteigen, da bekamen wir sie an die Füße und mussten dann da rein. All das mussten wir lernen.

 

Was haben Sie von Hitler gehalten?
Ich konnte mir darüber gar kein Urteil erlauben. Goebbels, der Propagandaminister, bei dem hat meine Mutter immer gesagt „Wenn der das Maul aufhat, dann hat er schon gelogen“. Daraufhin sagte ich immer „Sei bloß ruhig“, weil, wenn die Leute da irgendwie irgendwas gesagt haben, dann wurden sie ja eingesperrt. Man durfte sich ja nicht negativ äußern. Ich dachte immer, wenn man arbeitet, dann hatte man gar keine politische Meinung. Man war damit beschäftigt, das zu lernen, was man benötigt, um seinen Beruf ausführen zu können, man kam gar nicht darauf, über Politik nachzudenken.

 

Wie stand Ihre Familie zu Hitler?
Mein Vater, der hat gar nichts gesagt. Der Bruder von meiner Mutter, der hat in Monster gearbeitet (Stadt in Holland). Er stellte Munition in einer Munitionsfabrik her, dadurch wurde er auch nicht eingezogen, weil die Arbeit für die Soldaten wichtig war. Und meine Mutter, dass können Sie sich ja denken, wenn sie schon auf Goebbels schimpfte …

 

Haben Sie Adolf Hitler mal persönlich gesehen?
Als ich noch zur Schule ging, kam Hitler einmal zu Besuch nach Hamburg und dann mussten wir praktisch mit der ganzen Klasse an der Straße stehen, also alle Schulen kriegten Bescheid, da und da müssen sie hin und dann wurde der Führer begrüßt. Das wurde so angeordnet. Er fuhr da durch und wenn er an deinen Standort vorbeikam, musste man winken. So haben wir ihn dann persönlich gesehen.

 

Wie waren die nationalsozialistischen Rituale in der Schule?
In der Schule war es so: Erst mal wurde nicht mehr mit „Guten Morgen“ gegrüßt, sondern mit „Heil Hitler“, das war Vorschrift! Wenn es Ferien gab, musste sich die gesamte Schule auf dem Schulhof versammeln und dann wurde die Fahne gehisst, während dessen mussten wir die „alte“ deutsche Nationalhymne singen und auch wenn die Schule wieder anfing, genau dasselbe.

 

Könnte man sagen, dass Sie in ständiger Angst lebten?
Ja, kann man schon sagen, deshalb versuchte ich, mich in der Ausbildung auf meine Arbeit zu konzentrieren…

 

Wovor hatten Sie am meisten Angst?
Man hatte ja abends Ausgangssperre. Abends immer ab 22.00 Uhr musste alles zu Hause sein, wer später ankam bzw. wen man später angetroffen hat, wurde festgenommen. Da hatte man natürlich Angst vor. Besonders als ich ab Ende 1944 auch bei der FLAK-Stellung arbeiten musste, weil ich auch noch von der FLAK-Stellung zurück nach Hamburg musste. Ein Wettkampf gegen die Zeit.

 

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie an die Zeit zurückdenken?
Dann ist mir irgendwie ganz komisch im Margen und irgendwie kriege ich schlecht Luft. Das ist so diese Zeit, die nimmt einen sehr mit, wenn man nochmal rückblickend drauf schaut … und eigentlich denke ich wenig an diese Zeit zurück, man hat das alles erlebt und wenn darüber irgendwelche Filme kommen, guck ich mir sowas gar nicht erst an, möchte ich überhaupt nicht mehr sehen, dann kommt es mir alles wieder hoch. Für die jungen Leute ist das vielleicht gut, wenn sie mal sehen, wie es einmal war und wie es jetzt ist.

 

Haben Sie irgendwelche Bilder im Kopf, die Sie immer noch nicht losgelassen haben?
Ja, wenn Sie jetzt Fernsehen gucken, irgendwelche schönen Shows, da arbeiten sie immer mit so vielen Scheinwerfern. Nur sie haben nicht die Scheinwerfer, um besser zu sehen, wie wir früher, sondern heute flimmern sie einfach da immer rum und dann denk ich immer damals an den Krieg, wenn Fliegeralarm war und wir bei der FLAK mit dem Scheinwerfer die Flugzeuge anstrahlen mussten. Dann muss ich immer daran denken.

 

Interviewer: Sie haben uns zum Abschluss jetzt ein paar Bilder mitgebracht. Möchten sie uns dazu noch kurz was erzählen?

 

Ursula Vaupel: (Bild der Hochzeit) Ich hatte mein Mann ja kennengelernt, weil ich ja nach dem Krieg nach Ochsenwerder verpflichtet wurde. Also es hatte auch was Gutes. Wir haben dann im Dezember 1946 geheiratet. Durch den Krieg sind wir dann zusammengekommen. Es hatte für uns ein Happy End!

 

Interviewer: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben und ein Stück Geschichte mit uns teilen.

Ursula Vaupel erlebte eines der prägendsten Menschheitsereignisse. Sie ist der lebende Beweis dafür, dass jede schlimme Zeit auch ein Ende findet.

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