Zwischen Existenzängsten und einer fröhlichen Kindheit/Jugend
Ergebnisse eines Interviews mit Frau Lotichius (*1929)
Das Dritte Reich erlebte ich als Kind. Ich war 4 Jahre alt, als Hitler 1933 an die Macht kam. Ich hatte noch zwei Geschwister, und zwar eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder. Nachdem Hitler Autobahnen baute und Arbeitsplätze versprach, ging mein Vater in die Partei. Mein Vater war somit Parteigenosse (PG) und trug zu bestimmten Anlässen seine SA-Uniform. Meine Mutter war zu Hause.
Die Zeit bei den Jungmädeln
Endlich kam das Schreiben an meine Eltern. Ich war 10 Jahre alt und durfte nun der Jungmädel-Organisation beitreten. Ich hatte schon die ganze Zeit darauf gewartet. Auch meine Schwester gehörte zu der Jungmädel-Organisation. Bevor ich jedoch aufgenommen werden konnte, musste ich einen Eid nachsprechen. Wir Mädchen trugen alle die gleiche Uniform. Zwei mal in der Woche hatten wir Dienst bei den Jungmädeln, wo wir zum Beispiel Spielzeug für die kleinen Kinder basteln mussten und auch Briefe für die Soldaten schrieben. Diese Feldpost ging an die Soldaten, damit sie zu Weihnachten einen Gruß bekamen. Außerdem lernten wir HJ-Lieder auswendig, die in einem Buch „Wir Mädel singen“ zusammengefasst waren. Wir mussten uns natürlich auch Reden über Hitler anhören und seinen Lebenslauf und Werdegang auswendig lernen.
Mit 14 Jahren wurden dann alle auf den Führer vereidigt. Später 1945 sollte ich zur Führerin befördert werden. Meine Mutter ließ mich jedoch nicht mehr hingehen. Sie sagte: “Hitler ist sowieso am Ende, was willst du noch da?“ Ich ging ins Zimmer und fing an zu heulen.
Bei uns in Schnelsen war es alles etwas lockerer. Es war nicht so schlimm, wenn jemand mal nicht zum Dienst kam, denn man war dort nicht so fanatisiert und hatte einfach nur Spaß an der Sache. Im Gegensatz zu unserem Jungmädel-Lager wurde in anderen Gegenden mit dem KZ (Konzentrationslager) gedroht. Es wurde dort sehr viel mehr Druck ausgeübt.
In diesen Jungmädel-Organisationen wurde uns Mädchen als Lebensideal die Mutterschaft hingestellt, d.h., wir sollten später möglichst viele Kinder für den Führer gebären.
Die Jungs hingegen wurden in der HJ (Hitler-Jugend) militärisch gedrillt, d.h. auf ihren Dienst als Soldat für den Führer vorbereitet.
Damals gab es neben der Hitler-Jugend so genannte „Teddy-Boys“. Das waren Jugendliche, die sich nicht in die HJ integrieren wollten. Sie waren erkennbar durch längere Haare und Hosen mit Schlag. Sie waren bekannt dafür, dass sie für eine Swingschallplatte alles geben würden. Natürlich wurden sie verfolgt, weil ihr Verhalten gegen die Ideale der HJ verstieß.
Meine Zeit in der Kinderlandverschickung
Die Nazis hatten damals die Kinderlandverschickung (KLV) als Schutz der Kinder vor Flieger- und Bombenangriffen ins Leben gerufen. Sie boten den Familien an, ihre Kinder für die Kinderlandverschickung anzumelden. Die Kinder, die unter 10 Jahre alt waren, kamen in Privatquartiere, zum Beispiel nach Bayern. Kinder, die jedoch schon über 10 Jahre alt waren, kamen meistens mit den ganzen Klassen ins Lager.
Mit 11 Jahren war ich das erste Mal November 1940 in der Kinderlandverschickung. Meine 16 Klassenkameraden und ich waren 10 Monate lang bis September 1941 in Bayern. Eigentlich waren sechs Monate geplant, aber daraus wurden dann meistens mehr. Jeden Morgen wurden bestimmte „Rituale“ vollzogen. Es gab zum Beispiel jeden Morgen die Flaggenparade, in der die Fahne hochgezogen wurde. Jeder Tag wurde mit einem markigen Spruch begonnen, wie zum Beispiel „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ Dieser Spruch wurde von unserer Führerin vorgesprochen, den wir dann nachsprechen mussten. Pflicht war in diesen Lagern immer an vorderster Stelle. „Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um unsere Pflicht zu tun!“ Dies wurde uns immer vorgesagt.
Die Zeit der KLV empfand ich damals und auch heute noch als toll, obwohl wir von unseren Eltern getrennt waren. Meine Eltern waren beruhigt, denn sie wussten zumindest eines ihrer Kinder in Sicherheit. Auch der Abschied fiel nicht schwer. Unsere Kreativität wurde sehr gefördert. Wir hatten einfach keine Angst mehr vor Angriffen. Wir fühlten uns sicher und geborgen. Manch einer hat im Lager sicher darunter gelitten, dass es keine „Intimsphäre“ gab und dass man immer in Gemeinschaft war. Für mich war dies jedoch kein Problem. Nachdem ich dann im September 1941 nach Hause kam, fuhr ich 1 1/2 Jahre später wieder in die KLV, da unser Schutz immer noch nicht gesichert war und die Angriffe in Hamburg immer stärker wurden. Nach der Zerstörung Hamburgs im Juli/August 43 wurden alle Schulen im Stadtzentrum geschlossen und jeder, der keinen Schulplatz hatte, durfte auch nicht wieder vom Lager zurück nach Hause. Meine Eltern stellten dann einen Antrag auf Rückführung. Natürlich wurde auch geschummelt, indem man sagte, dass die Kinder bei ihren Onkeln außerhalb Hamburgs leben würden und sie einen festen Schulplatz hätten.
Meine Jugend ab 1943
Als ich dann aus dem Lager von der Kinderlandverschickung zurückkam, bekam ich eine Aufforderung zur Ausbildung als Fernmelderin. Da ich zu der Zeit Führerin bei der Jungmädel-Organisation war, wurde ich aus der Ausbildung entlassen und musste stattdessen Bahnhofsdienst machen. Dort war es meine Pflicht, die ankommenden Flüchtlinge, die aus dem Osten vor den Russen geflohen waren, mit Lebensmitteln zu versorgen.
Zu der Zeit war es so, dass die Mädchen zu Fernmelderinnen ausgebildet wurden und die Jungen zu Flakhelfern.
Da meine Schwester zu der Zeit bereits Abiturientin war, musste auch sie wie die Jungen Kriegseinsatz leisten. Einige mussten damals an die Front und die verletzten Soldaten mit Medikamenten versorgen, andere hingegen waren wie meine Schwester dienstverpflichtet. Sie hat ihren Dienst bei der Hamburger Werft „Blohm und Voss“ gemacht.
Meine heutige Sicht
Aus heutiger Sicht sehe ich die ganze Zeit natürlich anders, und ich weiß, dass man uns damals total „verbogen“ hat. Wir wurden so stark ideologisch beeinflusst und wollten unsere ganze Kraft und Fähigkeiten in den Dienst für den Führer stecken und vor allem auch dafür einsetzen, dass Deutschland den Krieg gewinnt. Heutzutage stelle ich mir die Fragen:
Warum war man damals so „hypnotisiert“ von Hitler?
Was wäre, wenn Hitler damals den Krieg gewonnen hätte?
Heute bin ich sehr froh, dass er den Krieg verloren hat.
Im allgemeinen bestand meine Kindheit bzw. Jugend nicht nur aus negativen Erlebnissen, sondern auch aus vielen guten. Es gab bei der HJ viele Angebote, um seinen Interessen nachzugehen. Ich war zum Beispiel schon immer musikalisch interessiert und kam in eine Gruppe, in der ich musikalisch gefördert wurde. Die Jugendlichen wurden im Gegensatz zu heute von den Straßen ferngehalten, da sie immer beschäftigt waren.
Natürlich gab es auch eine schlechte Zeitspanne in meiner Jugend und zwar die Zeit nach 1945. Vor allem von 1945 bis 1947. Erst da kam das Elend. Wir haben gehungert, hatten nichts zum Anziehen und meine Eltern waren sehr krank. Wir hatten damals kein richtiges Papier zum Schreiben und auch keine Stifte.
Ich träume heute noch davon, eine Klassenarbeit ohne Papier und Stifte schreiben zu müssen.
Neben vielen schönen und heiteren Erlebnissen in dieser Zeit war in vielen Familien die Sorge um den Vater an der Front ständiger Begleiter. Die Ängste, die ich als Kind bei Luftangriffen im Keller durchgestanden habe, tauchen auch heute immer noch in Träumen auf.
Zu Unrecht beschuldigt, misshandelt und weggesperrt. Dies war für Jochen Stern bittere Wirklichkeit. Nachdem er als Junglehrer der LDP beitrat, wurde er bespitzelt und überwacht.
Die Sowjetunion deklarierte ihn daraufhin als Spion und inhaftierte ihn ohne Prozess.
Feldpostkarten und Briefaustausch zwischen Soldaten, Freunden und Familie im Kriegsjahr 1915.
Auch die Schuhe wurden irgendwann knapper und gingen kaputt. Dafür gab es Bezugsscheine. Die Lehrer in der Schule haben beurteilt, ob man schon dringend neue Schuhe braucht. Das war aber nur, wenn man fast keine Schuhe mehr an den Füßen hatte, sondern Fetzen. Einmal habe ich auch neue Schuhe bekommen, da hab ich mich sehr gefreut.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können