Mein Name ist Edith Elfriede Dochow, doch mein Geburtsname ist Kasimir. Ich bin am 24. März 1932 in dem Ort Grüneberg, Gemeinde Schakenhof, Ostpreußen geboren. 1945 bin ich mit meinen fünf Geschwistern (wir waren zwei Mädchen und drei Jungen), Oma und meiner Mutter über das Haff (Stettiner/Pommersche Bucht) nach Deutschland geflohen. Wir sind nicht wie viele über das Wasser geflohen, sondern sind außen am Ufer geblieben. Es sind sehr viele ertrunken und außerdem war der Weg sehr beschwerlich für Kinder und ältere Menschen.
Während der Kriegszeit war ich noch zu jung, um einen Beruf auszuführen. Ich besuchte so gut es ging die Schule. Wir wohnten auf einen Gutshof, wo mein Vater als Knecht bei einem Gutsherrn arbeitete und meine Mutter arbeitete in der Küche. Viel Geld haben meine Eltern nicht verdient. Ich habe meiner Mutter im Haushalt geholfen und Essen für meine Geschwister gekocht.
Vor der Flucht wurde mein Vater, Franz Kasimir, von der Wehrmacht eingezogen. Ab da an hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihm. Während der Flucht haben wir ihn noch einmal gesehen, da er in Richtung Russland marschierte. Dort geriet er in russische Gefangenschaft. Während der Flucht sind wir teilweise bei Bauern untergekommen und mussten um Essen betteln. Wenn man nachts heimlich auf die Felder geschlichen war und man erwischt wurde, lief man Gefahr, dass man erschossen wurde. Wir wurden von meiner Mutter versteckt, um nicht von der russischen Besatzung vergewaltigt zu werden. Wenn wir bei den Bauern keinen Unterschlupf gefunden hatten, mussten wir draußen im Wald oder im Graben in der Kälte schlafen. Aber schlafen konnte man nicht richtig, denn man lief Gefahr entdeckt zu werden. Also war immer einer von uns wach und passte auf.
Die Fluchtzeit war sehr schrecklich: Wir sahen sehr viele Leichen, oftmals sah man auch, dass sie grausam hingerichtet worden waren, wir mussten mit ansehen, wie man aus fahrenden Fahrzeugen in die Menschenmenge geschossen hatte und viele Menschen zusammenbrachen.
Auf der Flucht habe ich auch meine beste Freundin aus den Augen verloren. Sie wurde angeschossen und kam in ein Lazarett in Danzig (jetzt: Polen), es war wirklich schrecklich.
Auf dem Weg nach Deutschland sind meine fünf Geschwister und ich über Landwege und durch Wälder geflüchtet, da man keine Straßen benutzen konnte, denn die hatte überwiegend die Armee in Beschlag genommen.
Die stehengebliebenen Fluchtwagen haben wir nach Lebensmitteln durchsucht. Es war sehr ekelhaft, da wir dort unter Holzbrettern Leichen gesehen hatten. Was wir unter diesen Holzbrettern gefunden haben, war einfach nur schrecklich und furchtbar. Darunter lagen tote Menschen, am schlimmsten fand ich, dass dort auch Kinder lagen. Wir hörten auch welche um Hilfe rufen. Manchmal konnten wir helfen, aber es ging nicht immer. Wenn ich heute noch so daran denke, wird mir schlecht und ab und zu fange ich auch wieder an zu weinen…
Wir wollten zu einer Scheune laufen um Schutz zu suchen. Da rief uns ein Bauer hinterher, dass wir da nicht hin sollten. Wir hatten ihn aber nicht richtig verstanden und sind trotzdem hin gelaufen. Um ein Unterschlupf zu suchen machten wir das riesige Tor auf. Was wir dort sahen hat uns bis heute in den Träumen verfolgt. Wir mussten uns übergeben, wir schrien und heulten. Die Scheune war bis unter die Decke mit Leichen gestapelt. Es war unfassbar, dass man so etwas machte!
Wir sind bis nach Rostock geflüchtet. Dort haben wir ohne unseren Vater ein neues zu Hause gefunden. Mein Vater blieb bis zu seinem Tode in Gefangenschaft. Er wurde von meiner Mutter vor dem Kreisgericht Rostock im Jahr 1973 für Tod erklärt. Später erreichte uns ein Schreiben, mein Vater sei 1951 schon verstorben.
Ich ging in Rostock für eine kurze Zeit auf eine Mädchenschule, wie es früher halt üblich war. Dann habe ich als Hausmädchen bei einem Bauern, beim Petriedamm, in der Nähe von Rostock gearbeitet, um meine Mutter mit zu unterstützen. Ich war dort bis ich geheiratet habe und bin dann mit meinem Mann auf das Land bei Rostock gezogen. Da lebe ich noch heute.
Ich habe meinen Mann beim Tanzen kennengelernt, ein junger, sehr gut aussehender Mann. Wir wollten schnell heiraten, aber das gestaltete sich schwierig. Viele Dokumente waren während der Flucht verlorengegangen und es war schwer, sich neue zu beschaffen. Da die Dokumente von der Besatzungsmacht 1946 vernichtet wurden oder auch viele Papiere von Ort zu Ort gebracht worden waren. Ich musste versuchen über die Botschaft von Moskau, die in Bonn saß, meine Urkunden zu beantragen, damit wir heiraten konnten. Das dauerte lange und wir konnten heiraten. Danach habe ich vier Kinder bekommen. Meine jüngste Tochter hat zu meiner Überraschung (über das Deutsche Rote Kreuz) nach 55 Jahren meine beste Freundin wiedergefunden. Ich bin so froh, dass nach all den Jahren der Ungewissheit, sie überlebt hat. Wir haben auch sehr schnell ein Treffen vereinbart und man hatte sich natürlich auch viel zu erzählen nach all der vergangenen Zeit.
Sie erlebten schon mit jungen Jahren die Grausamkeiten des Krieges. Für Kinder gehörten Verluste, Luftangriffe, Hunger und Kälte zum Alltag. Was sie durchmachen mussten und erlebt haben, können wir uns heutzutage kaum vorstellen.
Die Pionierleistungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Freien Angestelltenbundes und des Bauhüttenverbandes Nord, menschenwürdigen und ausreichenden Wohnraum zu schaffen, reichen bis in unsere heutige Zeit hinein. Und für “Otto Normalverbraucher” ist es immer noch erstrebenswert, eine preisgünstige und nicht dem Gewinnstreben unterliegende Wohnung in einer Genossenschaft zu mieten.
Da wir nicht mehr alleine waren, also auch andere Afghanen in unserer Nähe waren, hatten wir nicht mehr so viel Angst. Die Besitzer des Wohnheimes waren auch sehr freundlich. Jedoch lebten dort auch noch viele andere Ausländer, die sehr anders waren und wir haben uns von ihnen ferngehalten.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können