„Uns ging es nach dem Krieg ganz gut“ - Nachkriegszeit

Das Interview wurde geführt von Rina Braun

Kannst du dich noch an das Ende des Krieges erinnern? Wenn ja, welche Erinnerungen hast du?

Ich kann mich nur noch ganz schwach erinnern und die Erinnerungen, die ich habe sind keineswegs schlechte. Der Krieg war zu Ende und wir waren alle froh, dass es uns gut ging und wir immer ein Dach über dem Kopf hatten. Ich weiß noch, als ich mit meiner Mutter in Curslack untergebracht war, kamen dort die Engländer und haben uns Kindern Schokolade gegeben. Aber ich war viel zu jung, um das Ganze überhaupt zu verstehen.

 

War in deinem damaligen Wohnort etwas von der Nachkriegszeit zu spüren?

Ich und meine Mutter wohnten anfangs in Barmbek, dort wurden wir allerdings ausgebombt und sind aufs Land gezogen, nach Curslack. Hier hält es mich bis heute, auch wenn ich zwischendurch wieder woanders gelebt habe.

 

War dein Vater im Krieg?

Meinen Vater habe ich nie kennengelernt, der verstarb noch vor meiner Geburt. Aber mein Stiefvater war Polizist und somit im Krieg eingesetzt, wo und wie weiß ich aber nicht. Der war auch nicht bei uns, erst später wieder, als er krank wurde.

 

Wie alt war deine Mutter, als sie dich zu Welt brachte?

Meine Mutter war 28 Jahre alt, also zu der Zeit schon sehr alt, um ein Kind zur Welt zu bringen.

 

Wie ging es dir und deiner Familie in der Nachkriegszeit?

Nachdem ich in Curslack lebte, bin ich mit meiner Oma und meinen Cousinen für eine kurze Zeit nach Wittenberg, Berlin. Dort haben wir einige Zeit gemeinsam in einem Zimmer gewohnt. Wir durften umsonst von Hamburg mit der Bahn fahren und selber entscheiden, wo wir aussteigen wollten. Später, als ich 9 Jahre alt war, wohnten wir wieder in Hamburg auf dem Land.

 

Wie war eure finanzielle Lage?

Naja, wir hatten nicht viel, nicht wie heute: viele Klamotten, ein Auto und viel Spielzeug, aber uns ging es immer gut. Es hat immer gereicht.

 

Hattet ihr immer genug zu essen?

Ja, auch das hat zum Sattwerden gereicht.

 

Unter welchen Umständen bist du groß geworden?

Meinen Vater kannte ich nie und mein Stiefvater war schwer krank, sodass ich mit zehn Jahren ins Kloster musste. Meine Mutter hatte nicht die Zeit und das Geld, um sich um mich zu kümmern und das war mir auch mit zehn Jahren schon bewusst, also war ich ihr auch nicht böse. Großgeworden bin ich aber größtenteils in Curslack, in dem Jugendheim, wo ich und meine Mutter ein Zimmer hatten.

 

Wie lange warst du im Kloster?

Ein Jahr lang in Neuenkirchen.

 

Hat dir der Aufenthalt im Kloster eine Erfahrung für dein Leben gegeben, die dich weitergebracht hat, wenn ja welche?

Es hat mir gezeigt, wie froh ich sein kann, nur ein Jahr dort gewesen zu sein, da ich nach der Zeit wieder frei sein und wieder bei meiner Mutter leben konnte. Ich habe dort gelernt, dass es anderen schlechter geht als mir. Es war trotzdem nicht schön, als ein evangelisches junges Mädchen in einem katholischen Kloster, abgeschlossen von allem zu sein. Ich habe aber auch gelernt, dass man sich zufrieden geben muss und auch die unschönen Tage vergehen. Ich hatte dort ja auch Freundinnen und habe viel Schulisches gelernt, aber meine Mutter hat mir oft gefehlt. Ich hab mich immer auf den Tag gefreut, sie wieder zu sehen. Denn dort gab es genug Kinder, deren Eltern im Krieg gestorben sind. Meine Zeit im Kloster hat allerdings nichts mit dem Krieg zu tun und vor allem in diesem Gebäude wurde darüber nicht gesprochen und nachgedacht.

 

Mit wie vielen Jahren hast du angefangen, selbstständig zu werden? (Geld verdienen, alleine wohnen, etc.)


Mit 18 Jahren habe ich meine Lehre begonnen.

 

Wie hast du die Teilung des Deutschen Reiches miterlebt?

So gut wie gar nicht.

 

Warst du gut über die damalige Lage aufgeklärt (politisch), wenn ja, wie hast du davon erfahren?

Wir hatten ein Radio und von Erzählungen. Ich war aber viel zu klein, um mich dafür zu interessieren und das zu verstehen. Ich habe oft Dinge gehört und gemacht, die ich nicht verstanden habe und auch bis heute nicht verstehe.

 

Die wären zum Beispiel?

Mit meiner Oma und meinen Cousinen nach Wittenberg zu reisen. Ich hab alles gemacht, was mir gesagt wurde. Ich weiß auch, dass das etwas mit meinem Stiefvater zu tun hatte, aber so ganz begriffen habe ich es nicht.

 

Gibt es ein Erlebnis aus dieser Zeit, welches sehr wichtig für dich ist?

Es ist wichtig, sein eigenes Geld zu verdienen und sich eine Zukunft aufzubauen, ja, aber es ist viel wichtiger, immer glücklich zu sein und sich zufrieden zu geben. Damals hätte ich nie gedacht, dass ich mit der Einstellung so weit komme. Aber Familie ist wichtig und vor allem Zusammenhalt in guten und in schlechten Zeiten.

 

Wie würdest du deine damalige Lebenssituation in einem Satz beschreiben und wie deine jetzige?

Wie gesagt, mir ging es die meiste Zeit gut und ich hatte eine schöne Kindheit auf dem Dorf mit viel Zusammenhalt und Lebensfreude. Wir haben vom Nachbarn die Äpfel geklaut und waren jeden Tag draußen. Meine Mutter war, wenn sie konnte, immer für mich da und ich hatte die meiste Zeit Spaß. Ich war gesund und hatte eine schöne Zeit, in der es anderen Menschen sicher schlechter ging. Heute denke ich immer noch so. Natürlich ist das nicht zu vergleichen, jetzt bin ich älter und habe mein halbes Leben hinter mir, aber ich bin froh, eine so schöne Familie zu haben, mit der ich so friedlich auf dem Dorf leben kann. Der Zusammenhalt ist immer noch da und egal wie viel Geld ich besitze, ich und meine Familie sind glücklich und gesund, das zählt!

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