Ein Interview mit Herrn F. (*1934)
Ich habe mit 20 Jahren mein Abitur gemacht und musste anschließend für drei Jahre zum Militär. Beim Militär in Ungarn bin ich zur Luftwaffe gekommen und musste dort 3 Jahre lang für wenig Taschengeld dienen. Nachdem ich im zweiten Jahr war, fing die ungarische Revolution an. Es regierte die kommunistische Partei, doch das Volk fing an, sich zu wehren. Es protestierte gegen die schlechten Lebensbedingungen und die finanzielle Lage. Viele Menschen versammelten sich und sind zum Radio-Haus gegangen – Fernsehen gab es damals in Ungarn noch nicht. Sie wollten im Radio ihre Forderungen an die Regierung weitergeben: Die Russen sollten Ungarn verlassen! Denn Ungarn war noch vom 2. Weltkrieg von den Russen besetzt. Dieser Aufstand gefiel der Regierung nicht, woraufhin sie die Polizei dorthin schickten. Die Polizisten waren gnadenlos und haben auf die unbewaffnete Menge geschossen. Damals gab es zum ersten Mal Tote. Daraufhin war die Aufregung sehr groß, jedoch hielt dies die Protestler nicht auf. Kurz danach hat die Regierung die Russen um Hilfe gebeten, welche natürlich kamen und das ungarische Volk „niedermetzelten“. Panzer rollten durch die Hauptstraßen Budapests und viele Menschen fielen ihnen zum Opfer. Da ich zu dieser Zeit im letzten Jahr meines Dienstes war, war ich Soldat und hautnah dabei. Mir ging es zu dieser Zeit nicht gut, weil kurz zuvor meine Mutter verstarb. Da hatte ich ein seelisches Tief, sodass ich mitgemischt habe. Nach einer Weile zogen sich die Russen zurück. Die sowjetischen Truppen und Zivilisten sind aus der Hauptstadt gezogen. In dieser Zeit fing die Bevölkerung mit den Aufräumarbeiten an, denn hunderte von Häusern waren völlig zerstört worden und viele Menschen waren verletzt.
Und dann waren wir alle 13 Tage frei von der russischen Herrschaft. Darüber gibt es ein Buch, in dem ich auch abgebildet bin. Das Buch trägt den Titel „13 Tage erschütterten die Welt“, ein Dokumentarbericht über die ungarische Revolution. Dieses Buch ist in deutscher Sprache geschrieben und wurde in Deutschland herausgegeben. Doch es blieb nur bei den 13 Tagen Freiheit, denn am 04. November 1956 kamen die Russen wie Ameisen nach Budapest zurück und haben auf uns geschossen und vieles zerstört. Ungarn hatte im 2. Weltkrieg nicht so viele Schäden gehabt wie bei diesem Aufstand. Später kamen Freunde zu mir und erzählten mir, dass ich in dem Buch „13 Tage erschütterten die Welt“ zu sehen sei. Nachdem sie mir das mitgeteilt hatten, musste ich fliehen, da man mich gut erkennen konnte. Mein Bruder und meine ganze Familie blieben zu Hause, die hatten ja nichts mit dem Aufstand zu tun, nur ich, weil ich Soldat war.
Ich war zwei Tage lang in einem Wald unterwegs – ganz allein. In Wien angekommen, wurde ich in ein Flüchtlingslager gebracht. Dort lebte ich drei Monate. Sie hatten uns in Schulen untergebracht. Jede Altersgruppe war dort vertreten – von jung bis alt. Täglich haben wir einmal etwas zu essen bekommen. Das war dort alles ziemlich chaotisch. Ich habe Glück gehabt, denn ich habe als Hilfsarbeiter bei einer Autofirma Arbeit gefunden. Da ging es mir schon besser, und ich konnte mir ein Abendessen leisten. Das war dann der Anfang vom Ende meines Flüchtlingslebens.
Die Mitarbeiter der Autofirma erzählten mir, dass ich mir ein Stipendium besorgen könnte. Dies habe ich gemacht und bin daraufhin nach Deutschland, Aachen, gekommen. Ich besuchte die technische Hochschule und habe einen ganz normalen Werdegang gehabt.
Nach 16 Jahren bin ich das erste Mal wieder nach Ungarn – nach Hause gefahren. Die deutsche Fußballmannschaft hatte in Ungarn ein Länderspiel und da bin ich mit meinem Freund mit dem Auto hingefahren. Ich konnte vorher nicht nach Ungarn, weil ich ja ein Flüchtling war. Und obwohl ich Ungar war, musste ich nun ein Visum beantragen. Als wir dann ankamen, war das ein sehr schöner Moment. Ich habe alle meine Verwandten und Freunde wiedergesehen. 16 Jahre, das ist eine lange Zeit. In dieser Zeit habe ich geheiratet und bin viermal Vater geworden.
Damals habe ich es ziemlich bedauert, fliehen zu müssen. Doch heute muss ich sagen, das war mein Lottogewinn. Ich habe hier im Westen sehr viel Gutes erfahren. Doch der Anfang war schwer. Du kennst die Sprache, die Umgebung und die Menschen nicht und musst ein neues Leben aufbauen. Auf der Hochschule gab es einen Deutschkurs für Ausländer, und ich bin auch ziemlich oft ins Kino gegangen, damals war das ja noch günstig.
Heute bin ich 78 Jahre alt, lebe also schon seit 55 Jahren in Deutschland und bin sehr glücklich. Ich fahre regelmäßig nach Ungarn und besuche meine Verwandten und Freunde dort.
Ich bin als eines von fünf Kindern in Ostdeutschland aufgewachsen. Meiner Familie gehörte eine Striegelfabrik, deren Betrieb wegen verschiedenster staatlicher Repressalien immer schwieriger wurde. Da ich keinerlei Perspektiven für mich sah, floh ich, wie vorher schon meine Brüder, alleine in den Westen und baute mir dort ein neues Leben auf. Von Leipzig nach Ost-Berlin und von dort mit der S-Bahn bis Zoologischer Garten ….
Religion ist eine geistige Einstellung und etwas, was man in der Seele trägt. Dazu kann man niemanden zwingen. Es ist eine freie Entscheidung und wenn man jemanden dazu zwänge, dann ist dies sowieso nicht richtig, weil die Überzeugung aus dem Herzen kommen sollte. Das sehen meine Eltern auch so. Sie haben ihr Bestes getan, um mir das nahe zu bringen und, wenn ich das trotzdem anders sehe, dann ist das mein Bier.
“Erst 1943 war für mich richtig Krieg. Ich kam dann nach Bayern, durch die Kinderlandverschickung. In Bayern war es ruhiger, es gab kaum Fliegeralarm. Wir waren in der Oberpfalz. Süddeutschland wurde weniger berührt, Hamburg war gefährdeter.”
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können