Interview mit Herrn Heise (*1942) am 10.12.11, in Hamburg
Sind Sie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geboren?
Ja, ich bin 1942 auf dem Gebiet der späteren DDR geboren. Zu dieser Zeit war mein Vater noch im Krieg. Meine Mutter hatte es mit drei Kindern nicht so leicht.
Haben Sie Ihre Kindheit und Schulzeit dort verbracht?
Meine Kindheit und Schulzeit habe ich in der DDR verbracht. Ich bin in der Stadt geboren und als ich drei Jahre alt war, sind wir auf das Land gezogen.
Ich wurde 1948 eingeschult und bin bis zum Abschluss der 8. Klasse in derselben Schule gewesen. Dann bin ich bis zum Abitur auf die Oberschule gegangen.
Welche besonderen Ereignisse gab es für Sie in dieser Zeit?
Es war Anfang der 50er, da ging Hals über Kopf ein Lehrer in den Westen. Es hieß damals, er sei ein Nazi gewesen. Seine Familie ließ er zurück. Ob es wegen der Entnazifizierung war, weiß ich nicht. Ich war damals ja erst acht Jahre alt. Ich weiß nur, er ist von sich aus in die BRD geflohen.
Ich nehme heute an, dass er Angst hatte, in der SBZ zu bleiben.
Dann flüchteten einige Bauern in den Westen, deren Kinder auch in meiner Klasse waren. Die Familien einiger Klassenkameraden sind über Nacht in den Westen gegangen. Ich hatte es bedauert, dass die Klassenkameraden nicht mehr da waren.
Diese Bauernfamilien verließen ihren Hof wegen der Gründungen von LPG , denen sie sich anschließen sollten.
Waren Sie Jungpionier (JP) oder auch in der Freien Deutschen Jugend (FDJ)?
Ich war Pionier und später auch FDJler gewesen. Es war einfach damals so üblich. Jungpionier war ich ab der ersten Klasse. Alle trugen weiße Blusen, ein blaues Halstuch, die Jungen hatten dunkelblaue kurze Hosen und die Mädchen einen dunkelblauen kurzen Rock. Ab der fünften Klasse war ich automatisch Thälmannpionier. Die Thälmannpioniere trugen rote Halstücher. Diese Kleidung trugen wir beim Fahnenappell und bei staatlichen Anlässen, z.B. zum 1. Mai, dem Nationalfeiertag . Der Fahnenappell wurde jeden Montag früh bei der Schuljahreseröffnung, nach dem Schuljahresabschluss bei der Zeugnisübergabe und vor den Wandertagen durchgeführt. Durch diese Organisationen sollte das System gestärkt werden, daran haben aber die wenigsten gedacht. Das System wurde vor allem durch die Eifrigen gestärkt, die alles sehr ernst nahmen.
Warum hieß die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“?
Ernst Thälmann war ein Arbeitersohn und Kommunist. Er wurde 1944 im KZ Buchenwald ermordet. E. Thälmann galt als Vorbild für die jungen Menschen in der DDR. Er führte 1923 den bewaffneten Aufstand des Hamburger Proletariats. Er war gegen Faschismus, Krieg und für die Arbeiterbewegung.
Wurden Sie gedrängt, Jungpionier zu werden?
Soweit mir in Erinnerung ist, wurde keiner in meiner Klasse gedrängt, JP zu werden. Außer ein katholisches Mädchen waren alle in meiner Klasse Pioniere.
Was war mit Nicht-Mitgliedern?
Die Nicht-Mitglieder hatten keine Nachteile. Auch Zensuren mäßig nicht, denn sie konnten ja nichts dafür, dass sie kein JP werden durften. Manche Eltern waren dagegen. Sie hatten allerdings Nachteile, da sie an den Pioniernachmittagen, bei Spielen, Wanderungen oder Pionierfasching nicht mitmachen konnten.
Waren Sie in der Pionierrepublik „Wilhelm Pieck“ und was wissen Sie darüber?
Ich war kein eifriger Pionier, der voller Stolz seine Kleidung getragen hat und in der Pionierrepublik „Wilhelm Pieck“ war ich auch nicht. Das war ein ganzjähriges Pionierlager mit Schulunterricht, Sport und Erholung. Dorthin kamen nur die besten Pioniere, die Eifrigsten. Das galt als eine große Auszeichnung. Hinterher dachten die Schüler, sie seien etwas Besseres, sie haben sich sehr hervorgetan.
Es gab einen großen Pionierpark in Berlin. Waren Sie auch dort?
Der Pionierpark war der größte Park in Berlin mit Spielplätzen, Sportplätzen und vor allem mit der Pioniereisenbahn. Ich selbst war niemals dort. Ich hätte erst nach Berlin fahren müssen und das war für meine Familie zu kostspielig.
Meine Freizeit habe ich auf dem Dorf verbracht, denn dort fand ich es schön.
Gab es in Ihrer Schule auch Pionierzirkel?
Ja, zur Pionierarbeit gehörten auch Pionierzirkel, das waren Arbeitsgemeinschaften in den Schulen. Dort wurde gebastelt, gesungen, gemalt oder es wurden Märchen erzählt. Es gab auch eine Schach-AG und die „Jungen Sanitäter“.
Bei den „Jungen Sanitätern“ machte man einen Erste-Hilfe-Kurs.
Wie sind Sie zur FDJ gekommen?
Mit der 8. Klasse wurde man automatisch in die FDJ aufgenommen. Dann bekam man auch das blaue FDJ-Hemd. Das Hemd war sehr preiswert und man musste es sich kaufen.
Wann haben Sie die FDJ-Kleidung getragen?
Die FDJ-Kleidung war das Blauhemd. Es musste zu staatlichen Anlässen getragen werden. Auch zu FDJ-Veranstaltungen und zu Zeugnisübergaben sollte man möglichst die FDJ-Kleidung tragen. Sonst wurde man ermahnt, da man es nicht gern sah, wenn man ohne FDJ Kleidung erschien.
War die FDJ nur in den Schulen, Hochschulen und Universitäten organisiert?
Sie war neben den Schulen und Universitäten auch in den Betrieben organisiert.
Der FDJ-Sekretär leitete die FDJ-Arbeit. Es gab sie auch in allen staatlichen Einrichtungen, wie z.B. in Stadtleitungen, in Kreisleitungen, in Bezirksleitungen, im Zentralrat der FDJ und in allen Betrieben. Jeder Betrieb hatte auch Lehrlinge. Es waren ja staatliche Betriebe.
Welche Rolle spielte die Mitgliedschaft in der FDJ?
Sie war eigentlich für die berufliche Zukunft sehr wichtig, wenn es um einen Studienplatz, eine Einstellung im staatlichen Betrieb oder um Qualifikationen ging. Bei Bewerbungen war es wichtig anzugeben, dass man in der FDJ war.
In der Personalakte war alles vermerkt. Wer nicht drin war, hatte das Nachsehen.
Gab es bei der FDJ auch Kampagnen und Zirkel, in denen sich die FDJler als Vorbild der DDR-Jugend zeigten?
Es gab einen Wettbewerb für begabte Schüler, Lehrlinge oder Studierende. Jedes Jahr fand er unter dem Motto „Messe der Meister von Morgen“ statt. Auch gab es einen Zirkel „Junger Sozialisten“, man konnte dort das Abzeichen für gutes Wissen erwerben. Das gab es in Gold, Silber und Bronze.
Es gab auch Jugendbrigaden, die in den Betrieben eingesetzt wurden, wenn große Vorhaben durchgeführt werden sollten, wie z.B. das Trockenlegen von Boden (in der Wische = in der Altmark) oder beim Bau von Talsperren. Für diese Arbeit meldeten sie sich freiwillig. Die Jugendlichen, die dort eingesetzt wurden, galten als Vorbild und genossen dadurch auch Vorteile, wie einen schnelleren beruflichen Aufstieg, bessere Bezahlung und andere Vorteile. Das war der Anreiz zur Freiwilligkeit.
Wie schätzen Sie die Möglichkeiten der Förderung der Jugendlichen ein, waren sie überflüssig?
Durch die Maßnahmen des Staates wurden die Jugendlichen gefördert und auch gefordert. Es lungerte keiner auf der Straße rum. Die Jugendlichen wurden eingebunden und hatten eine Aufgabe. Sie sahen manchmal darin eine Perspektive.
Natürlich konnte nicht jeder machen, wozu er Lust hatte. Es konnte auch nicht jeder beruflich werden, was er wollte. Das wurde vom Staat gelenkt. Dadurch gab es auch keine Arbeitslosigkeit. Der Staat unterstützte die Förderung der Jugendlichen, um Kader heranzubilden, um so gute Menschen zu haben, die die Interessen des Sozialismus in der DDR vertraten.
Nicht nur zwei Weltkriege als Soldat erlebte Martin H., sondern auch die Inflation, die ein geordnetes Wirtschaften kaum zuließ. Seine Aufzeichnungen zeigen das deutlich: ein Hosenträger zu 850 Mark …
„Die Ärztin war entsetzt, als sie meine Schultern sah. Ich kann mich sogar gut daran erinnern, dass sie angefangen hat zu weinen.“
Die Gefahr war sehr groß, denn es ging um Leben und Tod. Ich habe sehr vielen Menschen beim Sterben zusehen müssen, darunter auch viele Freunde und Verwandte. Die Chance lebend wieder heraus zu kommen war sehr gering und nur wenige hatten das Glück die Zeit gut zu überstehen. Man hatte sehr wenig Hoffnung.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können