Ein Interview mit Elena M. (*Juli 1995)
Über die Einwanderung nach Deutschland
Wie lange lebst du nun schon in Deutschland?
Ich wurde im Juli 1995 in Charkow, der ehemaligen ukrainischen Hauptstadt, geboren. Seit dem 22.04.1997 lebe ich nun mit meiner Familie in Deutschland. Wir zogen direkt nach Hamburg/Allermöhe in eine Wohnung. Wir waren, meiner Meinung nach, die erste russische Familie dort, während in den nächsten zehn Jahren viele weitere russische Einwanderer dazukamen. Im Jahr 2006 konnten wir es uns dann leisten in ein Haus, ebenfalls in Allermöhe, umzuziehen. Auch die Nachmieter für unsere Wohnung kamen gerade aus Russland nach Deutschland.
Kannst du dich noch an irgendwelche Ereignisse in der Ukraine erinnern?
Nicht wirklich, da ich schon mit zwei Jahren nach Deutschland zog. Jedoch war ich seitdem zweimal in der Ukraine, da meine Großeltern väterlicherseits noch dort leben. Ich muss nach meinen Erlebnissen dort jedoch sagen, dass ich sehr glücklich darüber bin, hier leben zu können.
In der Ukraine ist vieles sehr anders als in Deutschland. Die Menschen sind einen anderen Lebensstandard gewöhnt. Die Schere zwischen Arm und Reich ist groß. Die Menschen zeigen ihre Lebensverhältnisse mehr nach außen aus, womit ich meine, dass sie weitaus gestresster und unhöflicher sind, als die Menschen mir hier erscheinen.
Die Unterschiede in den Lebensverhältnissen zwischen der Ukraine und Deutschland wurden mir unter anderem auch bewusst, als ich dort einen alten deutschen Lkw sah, welcher noch mit deutscher „Milka-Werbung” bedruckt war. Dieser wurde anscheinend billig von einem Unternehmen aus Deutschland abgekauft.
Auch am Beispiel meiner Großeltern in der Ukraine werden mir die Verhältnisse, aus denen ich ursprünglich komme, immer wieder bewusst. Da mein Stiefopa bei der Bundesmarine arbeitet, bekommt er eine Wohnung von seiner Arbeitsstelle finanziert. Nur durch diese Unterstützung schaffen sie es, sich Monat für Monat über Wasser zu halten, da ihr Einkommen sehr knapp ist. Meine Oma ist studierte Ingenieurin und arbeitete bis vor einem Jahr noch bei einem Telefonkonzern, um dort technische Probleme zu lösen. Mittlerweile ist sie jedoch in Rente und bekommt sehr wenig Geld vom Staat.
Seit meine Eltern in Deutschland leben, überweisen sie meinen Großeltern in die Ukraine monatlich Geld, um diese auch aus der Ferne heraus zu unterstützen.
Als meine Schwester im Jahr 2006 geboren wurde, war der Wunsch meiner Großeltern sehr groß, sie kennenzulernen. Da sie das Geld für eine Reise nach Deutschland jedoch nicht hatten, finanzierten ihnen meine Eltern diese. Dafür mussten wir komplizierte Visaanträge stellen, die erst genehmigt und bearbeitet werden mussten. Dementsprechend verzögerte sich der Besuch bis zum Jahr 2008. Ich erinnere mich außerdem noch daran, dass meine Oma mich kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag fragte, ob ich denn schon fest liiert sei oder dies bald sein werde. In der Ukraine und auch in Russland ist es nämlich üblich, sehr früh zu heiraten. Ist man dies jedoch nicht, hat man ein schlechtes Ansehen.
Aus welchen Motiven hat sich deine Familie dafür entschieden auszuwandern?
Meine Eltern lebten in sehr ärmlichen Verhältnissen. Aus diesem Grund beschlossen sie, als ich zwei Jahre alt war, nach Deutschland auszuwandern.
Da dies jedoch nur über sehr viele schwer auszufüllende Anträge ging, mussten wir vier Jahre lang auf die Genehmigung warten. Meine Oma mütterlicherseits, plante schon längere Zeit, auszuwandern. Sie war es auch, die 1993 die Anträge für uns alle stellte. Neben Anträgen für Deutschland füllte sie auch noch Asylanträge für Israel und Amerika aus. Während meine Eltern direkt nach Hamburg migrierten, mussten meine Großeltern und meine Tante mit ihrer Familie noch zwei Monate in Augsburg zubringen, bis sie nachkommen konnten. Zum Zeitpunkt der Auswanderung waren meine Eltern 23 Jahre alt. Da meine Mutter Jüdin ist, bekamen sie und ihre Familie den jüdischen Flüchtlingsstatus. Dies erleichterte auch meinem Vater, der eigentlich orthodox ist, die Einreise, da er mit meiner Mutter verheiratet ist.
Auch wenn die erste Zeit hier sehr hart war, spürten wir sofort eine Verbesserung. In der Ukraine teilten wir uns alle zusammen eine Fünf-Zimmer-Wohnung. Hier konnten wir alle in eigenen Wohnungen leben. Die Motive meiner Eltern, sowie meiner Großeltern und Tante, waren also einfach der Wunsch nach besseren Lebensverhältnissen und mehr Perspektiven für das weitere Leben.
Wie verlief das Leben deiner Familie in Deutschland?
Da meine Eltern beide in der Ukraine studiert hatten, wollten sie sich auch in Deutschland auf einer akademischen Ebene weiterbilden. In der Ukraine studierte meine Mutter auf Lehramt und in Deutschland dann Sozialpädagogik an einer Fachhochschule, jedoch ohne weitere Deutschkenntnisse. Von dieser Institution aus bekam sie Deutschkurse finanziert. Mein Vater studierte in der Ukraine Flugzeugbauingenieur und dies erneut in Deutschland, allerdings in deutscher Sprache. Er arbeitete danach als Kampfjetpilot bei der Bundeswehr. Dies brachte ihm die nötigen Vorkenntnisse, um nun bei Airbus als Pilotenausbilder für Transportflugzeuge zu arbeiten.
Wie bereits erwähnt, lebten wir die ersten zehn Jahre in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Allermöhe. Im Jahr 2006 konnten wir uns dann ein Reihenhaus leisten, welches ebenfalls in Allermöhe und direkt neben dem Reihenhaus meiner Tante ist.
Da wir anfangs keinerlei Kontakte in Deutschland hatten, bekamen wir auch keine Unterstützung. Um sich das Studium leisten zu können, arbeiteten meine Eltern nebenbei auf dem Dom an verschiedenen Ständen. Für die notwendigen restlichen Dinge wurden meine Eltern vom Staat unterstützt.
Erst, als sie beide festen Berufen nachgingen, schafften wir den Sprung aus der Armut heraus. Trotzdem ging auch das erste Gehalt meines Vaters direkt in die Heimat zu seinen Eltern. Für mich heute völlig normale Gegenstände, wie z. B. ein Fernseher, waren damals ein echtes Highlight.
Habt ihr alle die deutsche Staatsangehörigkeit? Wenn ja, wie lange schon?
Mittlerweile besitzen wir alle die deutsche Staatsangehörigkeit. Dies dauerte jedoch einige Zeit. Erst nach sechs Jahren erlangten meine Eltern und ich diese Angehörigkeit, mein Opa jedoch erst im Jahr 2011. Anfangs besaßen meine Eltern noch die ukrainische Staatsangehörigkeit, welche jedoch nach Annahme der deutschen endete. Somit besitzen meine Eltern nur noch die deutsche Staatsangehörigkeit. Ich habe jedoch noch bis zu meinem 23. Geburtstag Zeit, mich für eine von beiden zu entscheiden. Eine doppelte Staatsangehörigkeit ist jedoch nicht möglich. Dies spielt für mich aber sowieso keine Rolle, da ich mich definitiv für die deutsche entscheiden werde.
Wurdest du oder ein Familienmitglied von dir jemals mit Rassismus in Deutschland konfrontiert?
Da meine Familie nicht sehr gläubig ist, hat auch das Judentum als unsere eigentliche Religion keine große Bedeutung für uns. Insofern empfinden wir es auch nicht erwähnenswert und erzählen diese angeborene Zugehörigkeit nur in unserem engsten Kreis. Bis heute erzähle ich anderen Menschen auch eher mit gemischten Gefühlen davon, dass ich jüdisch bin, da dieses Thema gerade in Deutschland eher negativ besetzt ist.
Ich erinnere mich bei dem Thema auch daran, dass meine Lehrerin während der Holocaust Projektwoche einmal fragte, ob wir denn jemanden mit jüdischem Hintergrund in der Klasse hätten. Um dieses Thema nicht so publik zu machen, enthielt ich mich lieber, auch aus Angst vor eventuellen Diskussionen und Kommentaren.
Ein weiteres eher negatives Erlebnis war die Änderung meines Namens. Da ich jedoch während meiner Grundschulzeit aufgrund des Namens geärgert wurde, ließ ich ihn mit Annahme des deutschen Passes und Ende der vierten Klasse umändern. Dies kostete uns 50 Euro pro Buchstabe, wobei es uns das schon damals wert war.
Da meine Familie ansonsten sehr integriert und angepasst lebt, beispielsweise auch Weihnachten feiert, hatten wir bis jetzt noch keine größeren Probleme durch rassistische Anfeindungen.
Seid ihr, rückwirkend betrachtet, glücklich hier oder bereut ihr euren damaligen Entschluss?
Zu Anfang war es für meine Familie sehr schwer hier Fuß zu fassen, da ihnen sowohl das Land als auch die Sprache fremd waren. Der Gedanke an ein besseres Leben, als sie es in der Ukraine hatten oder je haben könnten, war jedoch von Anfang an präsent. Das Motto meiner Familie war schon immer „Ohne Fleiß, kein Preis”.
Ich persönlich kann mir in den anderen Ländern kein besseres Leben vorstellen, als das, was ich hier führen kann. Ich bin sehr froh darüber, hier aufgewachsen zu sein und lebe komplett nach deutschen Konventionen.
Trotzdem frage ich mich ab und zu, wie mein weiteres Leben in der Ukraine wohl ausgesehen hätte. Besonders während des Schüleraustausches nach St. Petersburg wurde mir bewusst, wie gut wir es hier haben und wie glücklich ich über mein Leben in Deutschland sein kann.
Bis heute habe ich den größten Respekt vor meinen Eltern und denke nicht, dass ich Ähnliches in meinem Leben erreichen und erarbeiten kann.
Ein junger Mann berichtet über seine Teilhabe bei der Novemberrevolution im Freikorps „Bahrenfeld“.
Darüber hinaus stellt er dar, welche Auswirkungen die Inflation auf sein Berufs- und Familienleben hatte.
Mit neun Jahren wurde ich zum Jungvolk einberufen […] abends wurde uns etwas vorgelesen, das waren Texte, die uns gegen die Kommunisten aufhetzen sollten, kann ich heute sagen. Da wurde uns zum Beispiel auch gesagt, dass Horst Wessel von Kommunisten ermordet wurde, was aber nicht stimmt.
Ich habe in dieser Zeit viele Maßnahmen ergriffen, mich von Freunden getrennt, Koffer gepackt und schon die halbe Wohnung aufgelöst, um für den Tag der Ausreise vorbereitet zu sein. Die Ungewissheit, wann es soweit ist, war immer da; denn dies wurde durch ein Telegramm von einem Tag zum anderen mitgeteilt.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können