Das Interview wurde am 12. Juni 2015 geführt.
Wie lange leben Sie mittlerweile in Deutschland?
Ich bin im Mai 1986 in Lewes, England, geboren. Seit dem 20. März 2005 – damals war ich 18 Jahre alt – wohnte ich mit meinen Eltern in einer Wohnung in Hamburg-Altona, wo auch schon ein Bekannter von uns seit mehreren Jahren gewohnt hat. Jedoch entschied ich mich später, in eine eigene Wohnung in Nettelnburg zu ziehen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Dort lebe ich nun seit 8 Jahren mit meiner Freundin.
Welche Motive hatten Ihre Eltern und Sie nach Deutschland auszuwandern?
Mein Vater war vor der Auswanderung lange Zeit Lokführer bei der British Rail, die eine staatliche Bahngesellschaft war. Doch dann begann die britische Regierung im Jahr 1993, das Bahnnetz zu privatisieren. Daher wurde er im Jahr 1997 Angestellter bei der Connex South Central, die sich später in Southern umbenannte. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater die Befürchtung hatte, dass es aufgrund der Privatisierung zu Stellenstreichung kommen könnte. Zudem litt mein Vater unter einer Schilddrüsenüberfunktion, die sich am Anfang der 2000er noch verschlimmerte. Deshalb hatte er noch mehr Angst vor einer Entlassung. Auch wenn sich seine Befürchtung zunächst nicht bewahrheitet hat, kam es 2004 doch dazu, dass er entlassen wurde. Zuvor hatte man ihm schon den Lohn gekürzt, da er angeblich zu viele Fehltage angesammelt hatte. Mein Vater versuchte zwar, eine neue Anstellung zu finden, was ihm jedoch nicht gelang, da er zum einem mit den Folgen einer Operation zu kämpfen hatte und zum anderem, es zu dieser Zeit kaum Nachfrage nach Lokführern gab.
Nachdem er sich von den Folgen der Operation erholen konnte, wurde er von einem Bekannten aus Hamburg, der Triebwagenführer bei der Deutschen Bahn war, darauf aufmerksam gemacht, dass man in Hamburg und Schleswig-Holstein nach Triebwagenführern suchte, die Erfahrung mitbrachten. Daher versuchte er sein Glück bei der DB Regio Nord, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, und wurde aufgrund seiner langjährigen Erfahrung, trotz mangelnder Deutschkenntnisse, angenommen.
Meine Mutter hingegen hatte keine Probleme mit ihrer Halbtagsbeschäftigung als Näherin, doch verdiente sie zu wenig, um die Familie ernähren zu können. Auch ich konnte nicht genug verdienen, da ich erst gerade die Schule beendet hatte und ein College besuchte, wofür ich auch zahlen musste. Deswegen folgte ich meinen Eltern, obgleich ich wusste, dass ich meine Heimat und Freunde vermissen werde.
Hatten Sie Erwartungen und/oder Vorurteile gegenüber Deutschland?
Ich hatte einige Vorurteile, als ich in Deutschland eintraf. Ein Vorurteil z.B. war, dass die Deutschen sehr kalt und herzlos seien und ausschließlich nur Ordnung und Einhaltung von Regeln im Kopf hätten. Dies wurde zumindest häufig in meinem Umfeld in England erzählt, was wohl auch mit der Geschichte unserer Nationen zusammenhängt. Doch durch meinen Bekannten wusste ich auch, dass diese Vorteile nicht ganz wahrheitsgetreu sind, auch wenn er meinte, dass die Deutschen schon sehr regelkonform seien. Mit der Ankunft in Deutschland bestätigte sich für mich die Aussage meines Bekannten. In Deutschland achten die Menschen schon mehr auf die Einhaltung von Regeln, als es bei mir der Fall war.
Auch Erwartungen hatte ich natürlich. So erwartete ich, dass ich meinen Bildungsweg weiter gehen konnte und dass ich mich schnell in die Gesellschaft integrieren würde. Andere Erwartungen hatte ich nicht wirklich.
Gab es Hürden, die Ihre Eltern und Sie überwinden mussten?
Ja, die gab es. Da Großbritannien Mitglied in der EU ist, hatten wir zwar den Vorteil, dass wir uns als Unionsbürger in Deutschland frei aufhalten konnten, trotzdem nicht dieselben Rechte hatten wie ein Deutscher. Zum einen mussten sich mein Vater und meine Mutter eine Krankenversicherung suchen, die sie selber bezahlen mussten, da sie keinen Anspruch auf Sozialgelder hatten. Zum anderen musste er an Sprachkursen teilnehmen, wobei die Deutsche Bahn ihn nur teilweise unterstützte. Auch meine Mutter und ich besuchten Sprachkurse, um eine Arbeit bzw. ein Studium in Deutschland aufnehmen zu können. Ich hatte das Glück, dass ich bereits Deutschunterricht an meiner Schule hatte und somit die Grundlagen der Sprache beherrschte. Deshalb war ich auch in der Lage, meinen Eltern ein wenig beim Erlernen des Deutschen behilflich zu sein.
Ein großes Problem war auch, dass uns die Ämter kaum informiert hatten, so wusste ich zum Beispiel nicht, wie mein britischer Abschluss in Deutschland anerkannt würde. Erst durch einen Mitarbeiter der Universität Hamburg erfuhr ich, dass mein General Certificate of Education Advanced Level (auch A-Level genannt) einem Schnitt von 1,7 entspricht. Dennoch empfahl er mir, ein Abitur zu machen. Daher besuchte ich ein Abendgymnasium, was ich selber finanzieren musste.
Also hatten Sie mit der Sprache eher weniger Schwierigkeiten?
Ganz so würde ich es nicht sagen. Obwohl ich schon über einige Deutschkenntnisse verfügte, hatte ich dennoch einige Probleme. Das Deutsch, was ich in England gelernt hatte, unterschied sich ein wenig vom alltäglichen Deutsch, was ich von den Deutschen hörte, weshalb mir viele Bergriffe unbekannt waren, wie z.B. „Handy“, was ich als „Mobiltelefon“ gelernt hatte. Das Wort „handy“ existiert auch im Englischen, bedeutet dort aber so viel wie „bequem“ oder „geschickt“.
Darüber hinaus hatte ich häufig Schwierigkeiten das sogenannte Beamtendeutsch zu verstehen; die Mitarbeiter der Ämter waren zumeist auch nicht in der Lage, mir ihre Anliegen auf Englisch zu erklären. Entweder verweigerten sie sich oder sprachen nur ein sehr gebrochenes Englisch. Manchmal gab es jedoch jemanden, der dazu in der Lage war.
Erst am Abendgymnasium lernte ich, auch diesen Typus Deutsch zu verstehen. Die Lehrer dort halfen mir wirklich sehr.
Besitzen Sie die deutsche Staatsbürgerschaft? Wenn ja, fühlen sie sich deshalb als „Deutscher“?
Ich besitze keine deutsche Staatsbürgerschaft, da ich meine britische Staatsbürgerschaft hätte aufgeben müssen. Deswegen habe ich alles daran gesetzt, meine britische Staatsbürgerschaft zu behalten, da ich mich immer noch mit meiner Heimat verbunden fühle. Aber selbst wenn ich eine deutsche Staatsangehörigkeit besäße, würde ich mich nicht deswegen automatisch als „Deutscher“ fühlen. Ich habe mich niemals als „Deutscher“, „Brite“ oder „Engländer“ kategorisiert. Ich halte beide Kulturen als einen Teil meiner Persönlichkeit und möchte beide nicht missen.
Schildern Sie mir die wesentlichsten Unterschiede beider Kulturen
Auch wenn die Deutschen schon sehr höflich sind, legen die Engländer – und eigentlich alle Briten – einen höheren Wert auf Höflichkeit. Als Engländer bin ich es gewohnt, mich für alles zu bedanken. In Deutschland wird sich zwar auch für vieles bedankt, aber dennoch nicht für alles. Zum Beispiel sehe ich viele Deutsche, die sich beim Einkauf nicht beim Verkäufer bedanken – in England würde man dafür mit Verachtung gestraft werden. Und bei Aufforderungen muss man immer ein „Please“ (Bitte) einfügen, sonst gilt man als unfreundlich. In Deutschland verzichten, meiner Meinung nach, zu viele darauf.
Ein weiterer Unterschied herrscht beim Humor. Der englische Humor zeichnet sich dadurch aus, dass er sehr ungezügelt und mehrdeutig ist und viele Wortspiele hat. Die Deutschen haben damit häufig Probleme, was vor allem daher kommt, dass die Deutschen kaum Witze über ihre Vergangenheit machen, da sie Angst haben, jemanden damit zu verletzten. Deswegen muss ich in Deutschland darauf achten, solche Witze nicht zu erzählen.
Haben oder hatten Sie manchmal Heimweh?
Am Anfang hatte ich sehr starkes Heimweh, da ich die Umgebung und meine Freunde sehr vermisst habe. Daher spielte ich auch mit dem Gedanken, wieder nach Großbritannien zurückzukehren. Dennoch entschied ich mich, in Deutschland zu bleiben, da meine Eltern und ich hier andere Möglichkeiten hatten, als in Großbritannien. Auch begann ich, mich mit mehreren Menschen hier anzufreunden, die mir heute sehr ans Herz gewachsen sind.
Außerdem besuche ich jedes Jahr mindestens einmal meine Heimat, wo ich auch noch Kontakt zu ein paar meiner alten Freunden halte, mit denen ich mir ebenfalls regelmäßig schreibe.
Unter welchen Umständen würden Sie trotzdem wieder nach Großbritannien zurückkehren?
Das ist schwer zu sagen, da ich mich eigentlich dafür entschieden habe, in Deutschland zu bleiben. Der einzige Grund, der mir einfallen würde, wäre ein Verlust des Lebensstandards, den ich derzeit in Deutschland habe. Möglicherweise würde ich auch nach Großbritannien zurückkehren, wenn ich keine Berufsperspektive mehr hätte, wie mein Vater. Doch wäre dann auch nicht zwingend garantiert, dass ich in Großbritannien eine Berufsaussicht bekommen würde. Hier dagegen habe ich einen sicheren Beruf als Übersetzer, den ich liebe und nicht aufgeben möchte. Zudem würde es mir wohl auch schwerfallen, meine Freunde und meine Freundin zu verlassen.
Fühlen Sie sich integriert?
Auf jeden Fall. In meinem Alltag begegne ich nahezu niemandem, der mich als Ausländer abstempelt, obwohl sich an meinem Namen und meinem Akzent erkennen lässt, dass ich kein „Deutscher“ bin. Doch muss ich hinzufügen, dass ich mich mit zunehmenden Deutschkenntnissen, immer mehr intrigiert gefühlt habe. Meine Mutter hatte es deshalb am Anfang auch schwerer, sich zu intrigieren, da sie am Anfang über keine Deutschkenntnisse verfügte. Daher würde ich auch sagen, dass die deutsche Sprache ein wesentliches Element für die Integration ist.
Des Weiteren hatte ich nur sehr wenige Begegnungen mit Rassismus. Dies liegt aber wohl auch daran, dass zwischen der britischen und der deutschen Kultur wenige Differenzen existieren und man somit typisch deutsche Werte und Normen bereits zu Teilen inne hat.
Wie bereits erwähnt, habe ich auch die deutsche Kultur als Bestandteil meiner Persönlichkeit adaptiert, was für mich Grundlage für eine gute Integration ist. Schließlich wurde ich sehr gut in Deutschland aufgenommen und fühlte mich auch sehr früh sehr wohl, trotz anfänglichem Heimwehs.
Welche Begegnungen hatten Sie mit Rassismus?
Da ich am Anfang noch nicht ganz flüssig Deutsch sprechen konnte, beantwortete ein älterer Herr meine Nachfrage nach dem Weg mit der Antwort: „Lern’ Deutsch wie jeder Deutsche, du Inselaffe!“. Zu jener Zeit hatte mich dieser Ausruf sehr verletzt und ich hatte Angst, fremde Menschen anzusprechen. Doch habe ich diese Angst schnell ablegen können, weil mir andere Menschen auf eine freundliche Weise geantwortet haben, ohne mich dabei zu beschimpfen. Ansonsten erinnere ich mich ad hoc nicht an derartigen Vorfällen.
Wie setzt sich Ihr Bekannten- und Freundeskreis zusammen?
Mein Freundeskreis ist sehr gemischt, er besteht aus Menschen vieler Nationen. Abgesehen von Freunden aus Großbritannien, habe ich auch Freunde aus Deutschland, der Türkei, Russland, Spanien, Polen und auch aus Südamerika. Meine Freundin stammt aus Deutschland. Alle von ihnen besitzen eine andere Kultur, die in meinen Augen die deutsche Kultur bereichert. Doch haben viele von ihnen wie auch ich die deutsche Kultur angenommen, die für uns alle eine Bereicherung ist.
Kennen Sie aus Ihrem Freundeskreis Personen, die größere Schwierigkeiten haben bzw. hatten?
Ich habe einige Freunde, die mit Probleme kämpfen müssen. Einige von ihnen haben z.B. mit Rassismus zu kämpfen und müssen sich manchmal Beschimpfungen anhören. Dabei geht der Rassismus nicht nur von Deutschen aus, sondern auch von Menschen anderer Nationen, die andere Normen und Werte vertreten. Zum Glück habe ich noch nichts von körperlichen Angriffen gehört.
Außerdem haben einige meiner Freunde Probleme mit Ämtern. Ein Freund z.B. wartet seit mehr als vier Jahren auf seine deutsche Staatsbürgerschaft, da sein Heimatland sich weigert, ihn seine alte Staatsbürgerschaft aufgeben zu lassen. Und ohne die Aufgabe der alten, ist es schwer die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten.
Wie bewerten Sie den geplanten EU-Austritt Großbritanniens?
Großbritannien ist nun schon seit geraumer Zeit Mitglied in der Europäischen Union und hat auch von dieser Mitgliedschaft enorm profitiert. Zum Beispiel sind in Großbritannien viele neue Märkte entstanden, die es höchstwahrscheinlich anderenfalls nie gegeben hätte, was eine Steigung an Arbeitsplätzen hervorbrachte. Zudem ist auch das Reisen wesentlich vereinfacht worden, was viele erfreut, da sie gerne in andere EU-Länder reisen, insbesondere nach Spanien mit seinem Ballermann. Auch profitieren viele Briten und Deutsche von der Mitgliedschaft beider Staaten, da sie so die Freiheit haben, sich im anderen Land aufzuhalten und zu arbeiten. Ich kenne viele Deutsche, die sich für ein Jahr in Großbritannien aufhalten, um ihre Englischkenntnisse aufzuwerten, die man für immer mehr Berufe benötigt. Auch wird so ein großartiger Kulturaustausch ermöglicht, der die Beziehungen beider Länder verbessert. Durch einen Austritt könnte diese Möglichkeit erschwert werden, da man ein Visum benötigen würde.
Ich hoffe daher, dass Großbritannien in der EU bleibt.
Frau Z. musste auch im Krieg in den Bund deutscher Mädchen eintreten […] Dass Frau Z. Mischling zweiten Grades war, war beim BDM kein Problem. Sie durfte nur nicht Anführerin werden, was sie aber auch gar nicht wollte.
Auschwitz, das größte Konzentrations- und Vernichtungslager des Nationalsozialismus, ein Schauplatz bisher ungekannter Grausamkeit. Auch Frau K. kam als jüdisches Mädchen nach Auschwitz und schaffte es, dem Martyrium zu entfliehen. Nachdem 1944 die Deutschen in ihre Heimat Ungarn einmarschiert waren, flüchtete das damals elfjährige Mädchen mit ihrer Tante und die bis dato schöne Welt des Kindes zerbrach vollkommen.
Jeder Tag wurde mit einem markigen Spruch begonnen, wie zum Beispiel „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ Dieser Spruch wurde von unserer Führerin vorgesprochen, den wir dann nachsprechen mussten. Pflicht war in diesen Lagern immer an vorderster Stelle. „Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um unsere Pflicht zu tun!“ Dies wurde uns immer vorgesagt.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können