Stadtteilschule Bergedorf

Mein Weg nach Deutschland

Dieser Text stammt von Siddig Karahan

Zu Ihrer Person, Ihrer Familie und Ihrer Heimat. Wie heißen Sie? Woher kommen Sie? Und wie alt sind Sie?

 

Mein Name ist I.K. Ich komme aus der Türkei und bin 26 Jahre alt.

 

Haben Sie Kinder?

Nein, keine Kinder.

 

In welcher Sprache wurden Sie erzogen und würden Sie ihre Kinder später erziehen?

Ich selber wurde von meinen Eltern in der kurdischen Sprache erzogen. Wir sind kurdischer Abstammung, das heißt, die Herkunft ist Türkei, aber die Ethnie ist kurdisch. Meine Eltern konnten kein Türkisch und ich wurde deshalb in der kurdischen Sprache erzogen. Ich werde meine Kinder höchstwahrscheinlich in der deutschen Sprache erziehen, weil ich diese am besten beherrsche. Das Türkische ist mir nicht so geläufig und die kurdische Sprache verlerne ich immer mehr, seitdem ich nicht mehr Zuhause wohne.

 

Was ist für Sie Heimat?

Für mich ist Heimat einfach da, wo ich mich Zuhause fühle und Zuhause fühle ich mich in der Regel in der Nähe der Menschen, die mir am meisten bedeuten. Das sind meine Familie und Freunde und das ist zurzeit ganz klar Deutschland.

 

Haben Sie das Gefühl, dass Sie in Deutschland angekommen sind?

Diese Frage hat sich mir eigentlich gar nicht gestellt. Ich war noch im Säuglingsalter als ich nach Deutschland gekommen bin.

 

Nun kommen wir zu Ihrer Ausbildung und zu Ihrem Beruf. Was machen Sie beruflich?

Ich habe hier einen normalen schulischen Werdegang durchlaufen, habe mein Abitur gemacht und habe danach Jura studiert. Vor kurzem habe ich mein erstes Staatsexamen gemacht, bin zurzeit Rechtsreferendarin und arbeite auf das zweite Staatsexamen hin.

 

Kommen wir nun zur Integration. Fühlen Sie sich integriert?

Integration ist für mich ein Begriff, mit dem ich schwer umgehen kann. Also ich selber habe nie das Problem, dass ich mich nicht integriert fühle. Ich fühle mich gar nicht anders als meine Freunde, mit denen ich aufgewachsen bin. Seitdem ich denken kann, hatte ich mehrheitlich deutsche Freunde und hatte selten das Gefühl, dass ich nicht dazu gehöre. Seit ich in der Großstadt bin, sehe ich häufiger, dass man vielleicht nicht dazu gehören könnte. Ich würde sagen, ich bin eher ein Paradebeispiel eines guten Bürgers, als einer guten Integration. Aber ich weiß nicht, inwiefern das auf Integration zurückzuführen ist. Wie gesagt, es ist ein schwieriges Thema. Ich habe ja nie eine andere Kultur gehabt und vielleicht fällt es mir deshalb schwer, eine konkrete Antwort zu geben, weil ich hier aufgewachsen bin und meine Eltern versucht haben mir alles zu ermöglichen, alles mitzumachen, was meine Freunde auch machten, und ich somit das Gefühl hatte, dass ich mich gar nicht integrieren musste.

 

Hatten Sie Erwartungen oder Wünsche an Deutschland? Oder war es in Ihrem Leben so, dass Sie einfach nur für den Moment gelebt haben ?

Aus meiner Sicht ist diese Wunschfrage ein bisschen obsolet, weil ich im Säuglingsalter hierher gekommen bin. Aber was ich nach einer Reise in die Türkei sagen kann, ist auf jeden Fall, dass ich ziemlich Glück hatte, dass ich hier aufwachsen durfte und die Vorteile eines Sozial- und Rechtsstaates wahrnehmen kann. Ich glaube, ansonsten hätte ich nicht mein Potenzial ausschöpfen können, weil meinen Eltern und mir in der Türkei nicht die Möglichkeit gegeben worden wäre. Meine Wünsche haben sich hier in Deutschland verwirklicht.

 

Sind Ihre Eltern Analphabeten?

Ja, sie hatten in ihrer Heimat nicht die Möglichkeit, lesen und schreiben zu lernen, weil es die Umstände nicht zugelassen haben.

 

Wie haben Sie dann Deutsch gelernt?

Das war ganz witzig. Ich habe viel Deutsch durch das Hören gelernt und durch das Spielen mit Nachbarskinder. Komisch ist, dass man sagt, fernsehen würde verblöden. Aber ich habe im Kindesalter, als ich noch keine sozialen Kontakte hatte und meine Eltern ebenfalls nicht, Deutsch übers Fernsehen gelernt. Ich habe Comics geschaut und aus dem gesamten Kontext mir erschließen können, was wohl gemeint ist. So habe ich es durch das Hören gelernt und später auch durch Freunde und durch die Schule.

 

Also hatten Sie keine Probleme Deutsch zu lernen?

Nein, überhaupt nicht.

 

Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?

Ich hoffe, dass ich in 10 Jahren Volljuristin bin und irgendwo mein Plätzchen gefunden habe, jobtechnisch. Vielleicht auch in einer netten Behörde im sozialen Bereich.

 

Kommen wir nun zu Ihrem Alltag. Wie stehen Sie hier zu Ihrer Religion und Ihrer Kultur ?

Ich wurde im muslimischen Glauben erzogen. Meine Mutter ist sehr religiös und erpicht darauf, dass uns das auch sehr am Herzen liegt. Mein Vater ist da so Lala. Er ist ein bisschen bequemer. Was ihm gelegen kommt, nimmt er mit. Ich wurde aber grundsätzlich im muslimischen Glauben erzogen. Das Gute war allerdings bei meinen Eltern: Ich habe vieles anerzogen bekommen, aber meine Eltern haben es zugelassen, dass man sich selber Gedanken über die Religion und Kultur macht und auch offen dazu stehen kann, wenn man sagt: „Nö, ich sehe das nicht mehr so“.

 

Als Kind nimmt man natürlich das hin, was die Eltern einem sagen. Mit dem Alter fängt man erst an, manche Sachen zu hinterfragen und über die Dinge nachzudenken. Dabei erkennt man erst auch die Missstände und Zusammenhänge. Infolgedessen habe ich meine religiösen Ansichten geändert. Ich würde nicht sagen, dass ich nach dem Islam lebe. Mittlerweile glaube ich schon an etwas, gehöre aber dennoch keiner Religion an. Ich lebe nicht nach einem religiösen Kodex. Den habe ich abgelegt und meine Eltern leben damit auch ganz gut und sagen: „Das musst du wissen. Dafür kommst du in die Hölle und nicht wir“. Aber immer mit einem Lachen.

 

Es ändert aber nichts an der Beziehung zu Ihren Eltern, oder?

Überhaupt nicht. Meine Eltern sind da auch ganz gespannt. So sollte es auch sein. Ich finde, Religion ist eine geistige Einstellung und etwas, was man in der Seele trägt. Dazu kann man niemanden zwingen. Es ist eine freie Entscheidung und wenn man jemanden dazu zwänge, dann ist dies sowieso nicht richtig, weil die Überzeugung aus dem Herzen kommen sollte. Das sehen meine Eltern auch so. Sie haben ihr Bestes getan, um mir das nahe zu bringen und, wenn ich das trotzdem anders sehe, dann ist das mein Bier.

 

Welche deutschen Feste feiern Sie?

Religiöse Feste feiere ich keine. Da ich, wie gesagt, keiner Religion angehöre, feiere ich solche Feste nicht mit.

 

Wie wird bei Ihnen gekocht? Werden bei Ihnen landestypische Zutaten benutzt?

Ich glaube, da unterscheide ich mich von keinem anderen Studenten. Es muss schnell gehen, es muss leicht anzufertigen sein und es muss sättigen. Ich esse gerne Kartoffeln, Fleisch und Salat. Ich esse also nichts typisch Türkisches und wenn ich Bedarf danach habe, fahre ich zu meinen Eltern.

 

Hat das Leben in Deutschland Ihrer Meinung nach Vor- und Nachteile?

Ich sehe im Leben hier eigentlich grundsätzlich nur Vorteile. Einfach, dass es hier ein Mindestmaß an Menschenrechten gibt, dass es hier sozialstaatlich zugeht, dass man hier in größtmöglichem Umfang frei sein kann und dass man sich hier als Frau frei entfalten kann. Und darin sehe ich sehr große Vorteile, explizit im Vergleich zur Türkei. Des Weiteren finde ich es sehr vorteilhaft, dass meine Eltern hierher gekommen sind. Ich denke, dass sie sich nicht so entwickelt hätten, wie sie jetzt sind, wenn sie in der Türkei geblieben wären. Dort wären ja andere kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse auf sie zugekommen. Sie wären nicht so aufgeschlossen und hätten sich auch nicht in ihrem persönlichen Sein so weiterentwickelt, wie sie es hier gemacht haben. Sie sind mit einer bestimmten Kultur hergekommen und waren anfangs festgefahren, aber dann mussten sie sich auf Kompromisse einlassen, weil sie gesehen haben, so geht das hier einfach nicht. Sie konnten nicht gegen den massiven Strom schwimmen und haben gesehen, dass es ihren Kindern hier gut geht und sind auch infolgedessen entspannter und aufgeschlossener geworden. Dies sehe ich alles als großen Vorteil. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn wir in der Türkei geblieben wären. Der einzige Vorteil, den ich in der Türkei und dem Leben dort sehe, ist vielleicht das kulturelle Zusammenleben. Ich glaube, es ist einfach ein mediterranes Lebensgefühl, dass die Menschen dort entspannter sind und in den Tag hinein leben. Grundsätzlich aber sehe ich mehr Vorteile vom Leben hier in Deutschland.

 

Wie ich heraushöre, fühlen Sie sich ganz wohl in Deutschland und sind zufrieden mit der Entscheidung, dass Ihre Eltern hierher gekommen sind.

Ich fühle mich superwohl und es ist auf jeden Fall meine Heimat. Ich bin zufrieden, dass meine Eltern hierher gekommen sind.

 

Dann bedanke ich mich für das Interview!

Ich bedanke mich auch!

Noch mehr Kollektives Gedächtnis