Walter Stachow, geb. 1. Mai 1897 in Bergedorf
Im April 1920 machte ich zwei Bälle mit in Hamburg, bei Familien, deren Töchter mit mir zusammen Tanzstunde hatten. Der erste Ball bei Hülsemann war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Es war gerade der Tag, an dem der “Kapp-Putsch” war. Daraufhin streikten sämtliche Verkehrsmittel. Es fuhren weder Straßen noch Eisenbahnen, und so musste ich im Geschwindschritt den Weg zur Ohlsdorfer Straße antreten. Im Mittelweg erwischte ich ein Auto, das mich, nachdem es mich verkehrt gefahren hatte, irgendwo wieder absetzte mit dem Bemerken (des Fahrers), er führe mich nicht mehr weiter. Für diesen Spaß hatte ich M 35,- zu zahlen, was meine Geldbörse nicht unerheblich erleichterte. Mein Weg führte nun durch unbekannte Gegenden, durch die Schrebergärten am Stadtpark, dann schließlich zur Ohlsdorfer Straße.
Der Ball war nur sehr primitiv, denn nicht einmal ein Klavierspieler war da, und wir mussten nach den Klängen eines Grammophons tanzen. Morgens 1/25 Uhr brachen wir auf. Die Straßenbahnen fuhren ja nicht, und so mussten wir den Weg zur Stadt zu Fuß zurücklegen. Ein wundervoller Morgen wurde es. Als die Sonne aufging, war ich am Harvesterhuder Weg angelangt und ging nun an der spiegelglatten Alster entlang. Die Türme von St. Georg, Petri, Jacobi, Rathaus lagen vor mir und spiegelten sich teils im Wasser wieder. Todmüde kam ich am Hauptbahnhof an und wollte mit dem ersten Zuge nach Bergdorf fahren. Der Bahnhof war aber gesperrt und auch hier jeglicher Verkehr aufgehoben. Was sollte ich nun machen? Ich ging ins nahe Lloyd-Hotel und frühstückte und schlief beinahe dabei ein. Gegen 8 Uhr telefonierte ich an Onkel Henry Schwieger (Pastor an der Michaelis-Kirche), ob ich nicht zu ihm nach der Mühlenstraße kommen könnte. Dort wurde ich dann sehr freundlich aufgenommen und mir ein Bett zurecht gemacht, in dem ich bis nachmittags ausschlief.
In Hamburg war alles ruhig während der großen Demonstrationszüge geblieben. Der Rathausmarkt war natürlich wieder durch “Spanische Reiter” (Stacheldraht-Verhaue) abgesperrt. Am Montag früh ging ich erst ins Geschäft und am Nachmittag um l 1/2 Uhr machte ich mich auf Wunsch meiner Eltern auf den Weg nach Bergedorf; denn Papa war bei Onkel Paul Stachow auf Gut Hägerfelde und konnte auch nicht wieder nach Hause kommen. Den Weg musste ich natürlich auch ganz zurücklegen und brauchte vom Hauptbahnhof bis an unser Haus (Blücherstraße 8, heute von-Anckeln-Str.) 4.1/2 Stunden.
In Fischbek hatten sich die Kommunisten versammelt mit Gewehren, sie sahen gefährlich aus, sie wollten bei Harburg organisierten Truppen entgegentreten, die dann ja auch tatsächlich in den nächsten Tagen ihrer Waffen entledigt wurden, und der Hauptmann Berthold auf das Grausamste gelyncht wurde, bis er schließlich unter Fußtritten starb.
Papa kam schließlich per Auto aus Lübeck. Hier in Bergedorf wurden von den Kommunisten Hausdurchsuchungen abgehalten nach Waffen. U.a. waren die Kerls auch bei Speckters, doch fanden sie glücklicherweise die kurz vorher versteckten Waffen nicht. Jeden Winkel haben sie untersucht! Der Kapp-Putsch verlief im Sande. Die gewesene, gefürchtete Regierung kam wieder nach Berlin, und der Generalstreik nahm sofort ein Ende.
„Es wurde noch schlimmer, als einen Monat später meine Mutter starb.“
Als wäre es nicht schon schlimm genug, begann 1939 auch noch der 2. Weltkrieg.
Die Geschichte eines Mädchens, welches trotz eines schweren Schicksalsschlages sein Leben nach 1939 meisterte.
„Kriegskind bezeichnet ein Kind, das in wichtigen Lebensbereichen […] durch Krieg und Kriegsverfolgung geprägt, beeinträchtigt oder gar beschädigt wurde. […]“
Eine Definition zu diesem Begriff scheint leicht und schnell gemacht zu sein, doch wie ist es wirklich, als „Kriegskind“ mitten in Hamburg geboren und aufgewachsen zu sein?
Genau diese Frage habe ich mir gestellt und habe Antworten bei meiner Großmutter gefunden. Diese wurde am 12. Dezember 1941 in Hamburg geboren und wuchs dort auf.
Obwohl sie zum Kriegsende noch sehr jung war, konnte sie mir viel aus Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern und von ihren eigenen Erfahrungen in der Nachkriegszeit berichten.
Ich habe in dieser Zeit viele Maßnahmen ergriffen, mich von Freunden getrennt, Koffer gepackt und schon die halbe Wohnung aufgelöst, um für den Tag der Ausreise vorbereitet zu sein. Die Ungewissheit, wann es soweit ist, war immer da; denn dies wurde durch ein Telegramm von einem Tag zum anderen mitgeteilt.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können