Ergebnisse eines Interviews mit Eva-Maria Nowottny (*1914)
Eva-Maria wohnte damals wie heute in Bergedorf. Auch dort gab es die „Bündiische Jugend“, die Wandervögel und viele andere Jugendorganisationen. Sie schloss sich 1934 dem „Mädchenbund Königin Luise“ an. „Die hatten so schöne, blaue Kleider“ erzählt sie uns mit einem Lächeln im Gesicht. Aber auch dieser Jugendbund wurde einfach in die Hitlerjugend integriert. Die Leiterin des „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) war eine reizende Frau, mit der sich Eva-Maria gut verstand. Beiden gefiel die Integration des Bundes in die HJ nicht, sie wollten etwas verändern und daran arbeiten, dass der Bund nach ihren Vorstellungen gestaltet wurde.
In ihrer Freizeit besuchte Evchen die Bastelgruppe, machte Ballgymnastik und sang im Chor. All diese Veranstaltungen waren ein Teil des BDM.
Wanderung mit dem BDM
Dann bekam sie die Möglichkeit, in der Singakademie mitzusingen. Es war von dort an ihr größter Traum, ihr Lebensinhalt.
1938 heiratete sie. Ihren Mann lernte sie bei den alljährlichen Bundesmusikwochen kennen. Er betrachtete dort die Namensliste und war überrascht von ihrem Nachnamen „Neugebohren“, sein slawischer Name „Nowottny“ bedeutete übersetzt „neugeboren“. Eva zog zu ihrem Mann nach Berlin. Ihr Mann war dort Jugendfunkleiter im Schulfunk. Er arbeitete im Deutschlandsender und leitete die Schulfunksendungen für Musik, z.B. die Entwicklung von Fuge und Sonate.
Eines Tages sollte ihr Mann eine zündende Melodie für Baldur von Schirach komponieren. Es gab allerdings keine Textvorlage. Die wollte B. von Schirach später selber verfassen. Evas Mann sollte auch eine Melodie komponieren.
Nun machten Eva und ihr Mann einen Ausflug in die Heide. Er lag dort neben ihr im Gras und schrieb an den Noten. Ab und zu fluchte er vor sich hin „Verdammt noch mal“ und „Scheiße, wie soll ich ohne eine Textvorlage eine Melodie schreiben“?
An dem Tag der Vorstellung erschien er mit seinen Noten bei Baldur von Schirach. Die anderen Komponisten waren mit einem Orchester oder einem Chor erschienen. Evas Mann knallte einfach seine Noten auf den Tisch und ging. Später sagte er zu Eva „Das kann er sich selber ansehen“.
Danach erhielt Eva-Marias Mann Gerhard eine Anfrage von der Braunschweiger Kant-Hochschule. Sie suchten einen Dozenten für Musik. Gerhard sagte zu und begründete seine Meinung, welche ihn finanziell und gesellschaftlich zurückstufte, mit den Worten: „Ich will nicht mehr abhängig sein von einem, dem meine Nase nicht passt.“
Eva-Maria lächelte und erzählte uns eine weitere Geschichte: „Einmal kam der Ortsgruppenleiter zu uns und wollte mit meinem Mann alleine sprechen. Ich musste den Raum verlassen aber später bekam ich mit, wie mein Mann ihn an der Tür verabschiedete.“ Der Ortsgruppenleiter meinte: „Warum ist ihre Frau nicht in der Frauenschaft? Wenn ihre Frau doch wenigstens Kinder kriegen würde“. Mit den Worten „Beruhigen sie sich, ist alles in Vorbereitung“ schob Eva-Marias Mann den Ortsgruppenleiter aus der Tür.
Eva-Maria Nowottny und ihr Mann
Eva und ihr Mann hatten zwei Töchter. Eine davon starb, während ihr Mann im Krieg war, weil den Ärzten die richtigen Medikamente fehlten.
Gerhard war Reserveoffizier. Schon im August, also vor der Kriegserklärung klingelte nachts um 3 das Telefon. Ihr Mann wurde zum Dienst einberufen.
„Und er ist nicht zurückgekehrt“ berichtet uns Eva-Maria. Ihr Bruder traf einen Soldaten, der ihm von dem Tod seines Schwagers berichtete. Ihr Mann starb im Winter vor Moskau, verwundet durch Bombensplitter. Man hatte ihm seine Kleider genommen und er trug auch keine Erkennungsmarke mehr bei sich. „Auch unter Soldaten gibt es eine Ehre. Sollte es jedenfalls“, erzählt uns Eva-Maria.
„Es ist schon so lange her, aber es bewegt mich noch heute …“, sagt sie leise und wir schweigen, weil es keine Worte für die Grausamkeit dieser Zeit gibt.
Mit der Zeit begannen sie, nicht nur in ihren Familien zu rebellieren, sondern beteiligten sich auch an öffentlichen Demonstrationen, nicht zuletzt gegen Staatssanierungen und dergleichen …
Kindheit und Jugend während der Zwanziger Jahre. Eindrucksvolle Einblicke in den Alltag zweier junger Norddeutscher. Über die Erziehung, Schulzeit und die ersten Berufserfahrungen.
Nach der Verkündigung unseres erzwungenen „Umzugs” hatten wir vier Stunden Zeit, um unsere Sachen zu packen. Jede Familie wurde mit ihrem Hab und Gut auf je einer Kutsche verladen und transportiert. Wir brauchten eine Nacht bis zu der Eisenbahnstation. Auf einem Zug ging es eineinhalb Monate weiter. Die Reise führte uns ins Ungewisse.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können