Stadtteilschule Bergedorf

Tragödie in der Lübecker Bucht- Erinnerungen einer Fünfjährigen an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Timmendorfer Strand

Inwiefern erinnerst du dich noch an den 3. Mai 1945, an dem die Cap Arcona in der Lübecker Bucht bombardiert wurde?
Ich erinnere mich nicht mehr ganz so gut, da ich noch ein Kind war und unter sechs Jahren alt war, daher konnte ich mir kein konkretes Datum merken. Ich kann nur sagen, ich habe ein Schiff gesehen, welches umgekippt in der Lübecker Bucht lag und dass anschließend Leichen angeschwemmt wurden.

 

Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass das die Cap Arcona war und auch anschließend habe ich „hundert Jahre“ nicht darüber nachgedacht. Jetzt habe ich Unterlagen rausgesucht und mir durch das Internet klar gemacht, welches Schiff das war.

 

Wie hast du dich gefühlt, als du davon erfahren hast?
Das mit den Gefühlen ist genau das, woran ich mich natürlich, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr genau erinnere. Als Kind nahm man alles so hin – ich hätte fast gesagt, als selbstverständlich. Es waren Dinge passiert, die ich in ihrer Tragweite nicht erkannte und ich glaube, ich kann mich fast glücklich schätzen, dass ich damals nicht doppelt so alt war. Ansonsten hätte ich dir wahrscheinlich dasselbe gesagt und das ist das, was mich beunruhigt. Die Erwachsenen haben früher immer behauptet, sie hätten „das nicht gewusst“, aber die Kinder wussten es wahrscheinlich wirklich nicht. Ältere Kinder wurden von dieser schrecklichen Jugendorganisation (Hitlerjugend) abgeholt und sangen irgendwo Lieder irgendwo. Deswegen ist das deutsche Volkslied wohl auch in Verruf geraten und das wird mir alles heute erst klar.

 

Wie war die Stimmung unter den Menschen?
Das sind Fragen, die ich nicht beantworten kann. Dazu kann ich höchstens sagen, dass ich mich im Laufe meines Lebens damit auseinander gesetzt habe und ich selber zu dem Thema höchstens über meine Mutter etwas sagen kann. Zum 3. Mai 1945 steht zum Beispiel in einem ihrer Tagebücher, die sie zu der Zeit führte:

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Anmerkung zum obenstehenden Tagebucheintrag meiner Urgroßmutter vom 3. Mai 1945: Hamburg war an diesem Tag bereits von den Engländern befreit worden („Hamburg zur offenen Stadt erklärt“), in der Lübecker Bucht wurde aber noch gekämpft und tragischerweise die Cap Arcona noch in den letzten Kriegstagen versenkt.
Familienbild der Großmutter / Hamburg 1945

Du hattest mir mal erzählt, dass du mit deiner Oma vor den Bombennächten aus Hamburg nach Timmendorfer Strand „geflohen“ bist.
Ich war von meiner Mutter weg, einen Vater hatte ich nicht, nur eine Großmutter, die mich betreute. Meine Mutter war in Hamburg geblieben, um auf unsere Wohnung aufzupassen, damit diese nicht geplündert wurde.

Wie war das für dich, dass du von deiner Mutter getrennt warst?
Wir wohnten in Hamburg sowieso schon alle zusammen, ich bin mit meiner Tante, meiner Mutter und meiner Oma gemeinsam aufgewachsen.

Ich bin dann als etwa Vierjährige nach Timmendorfer Strand gezogen. Wir haben dort eine Unterkunft gesucht. Meine Großmutter war wohl schon da und meine Tante hat mich dann aus Hamburg dorthin gebracht. Das steht in einem Tagebuch meiner Mutter, welches sie zu der Zeit führte.

Wie hat deine Oma dir diese Situation mit der Schiffskatastrophe (Cap Arcona) erklärt oder erwähnte sie davon nichts?
Auch nicht mal das weiß ich mehr, aber ich bin sicher, dass ich sie gefragt habe. Vielleicht wusste sie nicht mal den Namen des Schiffes, das kann ja sein. Ich weiß nicht, ob wir es vielleicht im Radio gehört haben, solche Dinge sind mir gar nicht mehr vertraut.*)

Aber ich habe zuhause bestimmt erzählt, was ich gesehen habe, weil ich mit anderen Kindern unterwegs an der Promenade spielen war. Ich durfte dort frei spielen, denn es gab nur wenige Autos.

Hast du was gehört von der Katastrophe, also davon, dass das Schiff bombardiert wurde oder hast du generell solche Kriegsangriffe mitbekommen?
Nein, ich weiß nur, wir wohnten wie viele andere Hamburger seiner Zeit in einer Pension nahe dem Strand. Ich glaube sie hieß „Rotkäppchen“. Die Häuser hatten alle verschiedene Namen, wie heute Pension „Frieda“, so war dies „Rotkäppchen“. Dort hatten wir keine Toilette, wir mussten immer nach draußen gehen und dort gab es einen Strandkorb, unter dem eine Kuhle gebuddelt war. Solche Sachen behält man als Kind genau in Erinnerung. Als „Kindheitsbilder“ kann ich mir manche Sachen noch genau vorstellen, wie zum Beispiel die Häuserbebauung. Das ist zwar eigenartig, aber ich bin da jeden Tag langgegangen.

Ich weiß auch noch, dass wir in den Läden lange anstehen mussten, um Früchte oder andere Lebensmittel zu kaufen. Wenn man dran war, konnte es sein, dass alles ausverkauft war. Ansonsten kann ich mich nicht beschweren. Wir wohnten in einer schönen Pension bei einer sehr netten Frau. Ihr gehörte der Garten hinter dem Haus, in dem sie Gemüse anpflanzte. Wenn es zur Ernte kam, durften wir mithelfen, zum Beispiel beim Erbsen pulen und anschließend bekamen wir auch etwas ab. Ich bekam von der Frau auch mal einen Pudding geschenkt, das war ein großes Geschenk zu der Zeit und ich habe mich riesig gefreut. Nicht so wie heute, wo man in einen Laden geht, den Pudding aus dem Fach nimmt und ihn einfach zum Nachtisch isst.

Hast du die Folgen der Schiffskatastrophe noch lange gesehen und war der Strand abgesperrt, als dort so viele Leichen lagen?
Ja, das Schiff war lange zu sehen. Ich nehme mal an, nachdem so viele Leichen angeschwemmt wurden, war der Strand garantiert in gewisser Weise abgesperrt. Was ich noch weiß ist, dass ich Lastwagen gesehen habe, auf welche Männer mit Heugabeln die Leichen geschaufelt haben.

Wenn man fünfeinhalb Jahre alt ist, ist die Frage: Was ist eigentlich eine Leiche? Ich meine damit, es war zwar Krieg, aber ich war dort in Timmendorfer Strand sehr behütet. In Hamburg, wo ich zuvor gewohnt habe, gab es einen Bombenangriff, den ich für ein Feuerwerk hielt. Da mussten wir dann in unseren Keller. Es gab Sirenengeheul und Menschen riefen nach ihren Verwandten. Das habe ich noch in Hamburg mitbekommen.

Hast du in Timmendorfer Strand oft Soldaten gesehen?
Ja, habe ich und später auch die englischen Soldaten, die Timmendorfer Strand besetzt haben. Es gehörte für mich zum damaligen Bild, dass ein Mann eine Uniform trug. Alle waren froh, dass die Engländer da waren und der Krieg zu Ende war.


*) In den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkrieges war die Nachrichtenlage sehr schlecht. Die Propaganda der Nationalsozialisten brach zusammen und die nachfolgenden britischen Besatzer hatten im Mai 1945 den Nachrichtenbetrieb noch nicht vollständig übernommen.

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