Ein Interview mit Cornelia Flanke
Wie alt waren Sie 1989, und wo wohnten Sie zu dieser Zeit?
Damals war ich 33 Jahre alt und lebte in Hamburg/Cranz.
Wie standen bzw. stehen Sie persönlich zur DDR?
Man hat natürlich eine Menge durch die Medien über das System mitbekommen, vor allem auch über die getöteten Flüchtlinge, die von den Grenzsoldaten erschossen wurden. Außerdem hatten mein Mann und ich Freunde im Osten, dadurch haben wir auch vieles mitbekommen.
Erzählen Sie etwas von Ihren Bekannten in der DDR
Ich bin ein Zwilling, und meine Patentante hatte eine Freundin in der DDR, die auch Zwillinge hatte. Da kam sie auf die Idee, eine Brieffreundschaft zu vermitteln, damals war ich 14 Jahre alt. Später wurden wir auch noch Paten von deren erstem Kind, so wurde der Kontakt bis heute aufrechterhalten, obwohl es natürlich durch die Grenze schon kompliziert war.
Also haben Sie Ihre Freunde auch des Öfteren besucht?
Sowohl unsere Freunde als auch wir waren sehr bemüht, den Kontakt aufrecht zu halten. Wir sind ca. 1-2 Mal im Jahr zu Besuch gekommen. Manchmal haben wir uns auch in Ost-Berlin getroffen. Hierfür mussten wir nur ein Tagesvisum beantragen, was sehr viel leichter zu bekommen war.
Natürlich konnten wir nicht besucht werden. Nur einmal bekam einer aus der Familie eine Ausreisegenehmigung, um einer Beerdigung beizuwohnen.
Und wurden viele Briefe geschickt?
Natürlich, wir haben auch viele Pakete, vor allem Kleidung und Bücher. verschickt. Unsere Freunde waren hauptsächlich sehr an Jeans und Westliteratur interessiert, alles, was man in der DDR nicht kaufen konnte. Die Pakete wurden oft geöffnet und man musste immer eine Inhaltsliste beilegen. Einmal ist ein Paket mit einem Buch nicht angekommen, „Der Herr der Fliegen“ von William Golding, es entsprach wohl nicht dem Menschenbild der DDR.
Wie liefen die Planungen für einen Besuchen bzw. der Grenzübertritt ab?
Unsere Freunde mussten bei jedem Besuch ein Visum beantragen und wenn der Antrag genehmigt wurde, bekamen wir das Visum per Post zugeschickt.
Nach der Ankunft in der DDR, musste man sich bei der örtlichen Behörde anmelden, und wenn man für eine längere Zeit blieb, musste man sich auch wieder abmelden.
Auf der Hinfahrt, sind wir, obwohl wir ja schon ein Visum hatten, auf den letzten Parkplatz gefahren, um natürlich eine Pause zu machen, aber auch, um uns mental auf den Stress, der bei den Grenzübertritten immer da war, vorzubereiten.
Nach dem Übertreten der Grenze musste man zur Passkontrolle und dann zu einem Gebäude weiterfahren, das vielleicht ein bisschen mit Zollgebäude vergleichbar war, hier wurden nun die Motorhaube und der Kofferraum geöffnet. Meistens wurde auch das Gepäck durchsucht, aber dies hing glaube ich immer sehr von den jeweiligen Bestimmungen und vielleicht dem Eindruck der Grenzbeamten ab. Im Inneren des Autos wurde vor allem nach nicht erlaubten Gegenständen gesucht, es wurde unter jedem Sitz nachgesehen und jeder Fitzen Papier wurde genauestens untersucht.
Ich erinnere mich auch noch, dass die Beamten immer sehr wortkarg waren und die Kontrolle unserer Papiere oft unnötig in die Länge gezogen wurde. Viele Beamten haben ihre Macht zur Schau gestellt.
Man musste alle Gegenstände einzeln aus den Taschen nehmen, bei Fotos sollte man die Namen der auf dem Foto zu sehenden Personen nennen.
Einmal wurde skeptisch nach einer Essensmarke aus der Mensa gefragt. Aber was hätte ich denn damit anstellen sollen? Ich habe mich bei solchen Aktionen in gewisser Weise gedemütigt gefühlt und man musste trotzdem freundlich tun, denn mal wollte ja auch wieder ausreisen.
Außerdem gab es immer einen Sperrbezirk entlang der Grenze, der bis zu 3km oder sogar größer war.
In diesen Bezirk durften auch DDR-Bürger nur mit Erlaubnis. Meistens hatten nur die Dorfbewohner so einen Passierschein. Abgegrenzt war dieser Bezirk dann immer mit einer Schranke, die man, ohne kurzes Anhalten nicht passieren durfte. Ich weiß noch, bei einem unserer Besuche wollten wir gerade von der Schranke losfahren, jedoch war diese noch nicht vollständig hochgefahren. Man hielt uns daraufhin an und verlangte ein Strafgeld. Später fuhren wie natürlich nur noch los, wenn die Schranke wirklich vollständig hochgeklappt war.
Wir hatten das Gefühl, dass man den Westdeutschen auf eine Weise das Geld aus den Taschen locken wollte.
Nun ist es ja so in Deutschland, dass, wenn man sieht, dass jemand auf die Autobahn auffahren wollte, ihn gewähren lässt und bei Gelegenheit auf eine andere Spur ausweicht. In den 1970er Jahren wurde dieses Verhalten im Straßenverkehr in einer Fernsehverkehrssendung namens „Der 7. Sinn“ propagiert. Bald darauf gab es in der DDR ein Verbot für dieses Verhalten, dem ebenfalls hohe Strafen auferlegt waren.
Wie war Ihr Eindruck von der DDR?
Äußerlich war alles ziemlich trist und grau. Ich war nach jedem Besuch erleichtert, wenn ich die Grenze überschritten hatte. Ich habe aber immer versucht, auch das Positive zu sehen, wie zum Beispiel, dass jeder Mensch Arbeit hatte. Ich wollte unsere Freunde auch nicht bedauern. Man hat schon gemerkt, dass sie sich nicht wirklich gut damit fühlten, dass sie sich zum Beispiel für die Geschenke nicht revanchieren konnten.
Ich erinnere mich auch noch an die Straßen Sie sahen sehr anders aus und die Landstraßen hatten einen unbefestigten Streifen am Rand. Die Häuser waren ziemlich heruntergekommen und im Winter roch es sehr stark nach Kohle, da man in den Häusern Kohleöfen zum Heizen benutzte.
Es gab auch gar keine Leuchtreklame und man vermisste irgendwie die bunten Lichter in den Städten.
Glaubten Ihre Freunde an das System in der DDR? (hießen sie es gut?)
Unsere Freunde hatten keinen guten Status bei den Behörden, denn sie waren sehr kirchlich orientiert. Dies wirkte sich auf ihre Berufschancen aus. So wurde ihnen auch kein normales Studium gewährt, sondern nur eins unter Abstrichen. Man machte sich oft über die DDR-Politiker lustig, besonders weil es unter den Politikern kaum junge Leute gab, sondern überwiegend alte und das gefiel ihnen nicht.
Hatten Sie Angst vor einem eventuellen Abhören durch die Stasi?
Nein, also zu Hause haben wir uns eigentlich sicher gefühlt. Das einzige war vielleicht, dass wir beim Telefonieren Zweifel hatten, ob wir nicht vielleicht abgehört würden, deswegen haben wir durchaus aufgepasst, was wir sagten. Ich würde es eigentlich auch noch mal sehr interessant finden, zu wissen, ob mein Mann und ich nicht durch die vielen Besuche auch eine Stasi-Akte haben.
Wie viel bekam man als Westdeutscher von der Politik in der DDR mit?
Man bekam keine wirklichen Details mit. Man konnte zwar das DDR-Programm empfangen, aber ich niemand, den ich kannte, sah es sich an. Man hat sich irgendwie auch mehr für die Politik im eigenen Land interessiert, die DDR-Politik war eher im Hinterkopf. Aber man bekam natürlich mit, dass Künstler aus der DDR ausgewiesen wurden oder dass zum Beispiel Sportler nach Wettkämpfen einfach in der Bundesrepublik geblieben sind, und diese wurden auch von der BRD unterstützt.
Existierte ein Gefühl der gemeinsamen Nationalität zwischen den Bürgern der beiden Staaten?
Ja schon, es war natürlich dieselbe Kultur und es wurde die gleiche Sprache gesprochen, aber es war trotzdem das Gefühl da, in einer anderen Welt zu leben. Es war eigentlich egal, ob man eine Nation sein sollte oder nicht. Man wollte nur Freiheit für die DDR-Bürger und vor allem seinen Freunden dort unkompliziert helfen können.
Eine Wiedervereinigung war unvorstellbar, man träumte eher davon, dass unsere Freunde auch einmal uns besuchen könnten. Wenn es keine Ost-West-Beziehungen gegeben hätte, dann hätte es wahrscheinlich auch keine Annäherung gegeben.
Kam denn die Wende überraschend für Sie?
Ja absolut, das war nun wirklich nicht vorstellbar Ich weiß noch genau, wie meine Mutter anrief und sagte: „Kind, schalt´ mal den Fernseher ein“ und ich sah die Bilder von den Menschen, die auf dem Brandenburger Tor saßen. Es war unglaublich, wie im Traum.
Erzählen Sie, wie Sie die friedliche Revolution und die darauffolgende Zusammenkunft der BRD und der DDR empfunden und erlebt haben.
Ich fand die Demonstrationen in Leipzig und anderen Städten sehr mutig und ich habe gehofft, dass alles gut geht. Man wusste ja nicht, wie sich die Sowjetunion verhält, trotz Gorbatschow (und Glasnost). Über die Grenzöffnung habe ich mich einfach nur gefreut.
All die Trabis hier fand ich toll.
Ich kann mich auch noch erinnern, wie zum Beispiel gewisse Dinge einfach überall ausverkauft waren, da man die wohl in der DDR nicht bekommen konnte, so wie zum Beispiel Tesafilm.
Haben Sie immer noch Kontakt zu ihren Freunden?
Wir treffen uns immer noch regelmäßig, neulich erst für einen Besuch in Hamburg, jetzt dürfen sie ja.
Und dabei haben wir uns über die Berliner U-Bahn unterhalten, die ja durch den Westen und auch ein Stück durch den Osten führte. Ich erinnerte mich noch daran, dass die Bahnhöfe auf DDR Gebiet mit Brettern zugenagelt waren.
Der Bahnhof Friedrichstraße war der Grenzübergang für Tagesbesuche in die DDR.
Wie hatten alle ganz spezielle Erinnerungen an diesen Bahnhof.
Frau Flanke, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Nicht nur zwei Weltkriege als Soldat erlebte Martin H., sondern auch die Inflation, die ein geordnetes Wirtschaften kaum zuließ. Seine Aufzeichnungen zeigen das deutlich: ein Hosenträger zu 850 Mark …
Auf der großen Anlage waren Jungs und Mädchen getrennt und, sobald eine Nonne dich mit einem Jungen gesehen hat, auch wenn ihr euch nur auf dem Flur zufällig begegnet seid, wurde man als „Schlampe“ bezeichnet.
Hamburg: Ende des 1. Weltkrieges. Inflation. Zentnersäcke mit Papiergeld, die am nächsten Tag nichts mehr wert waren. Geldsammlung für Bergedorfer Rentner.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können