Interview mit Frau B. (*1934)
Wann sind Sie geboren?
Ich bin am 9.Januar 1934 in Bergedorf/ Hamburg geboren, sodass ich in der Kriegszeit ein junges Mädchen war.
Wo sind Sie aufgewachsen?
Ich bin in Bergedorf aufgewachsen und habe am Weidenbaumsweg gelebt. Dort hatten wir eine Wohnung, in der ich mit meinen Eltern, zwei Brüdern und einer Schwester, die allerdings erst im August 1942 geboren wurde, wohnte.
Wie ging es Ihrer Familie?
1933, vor meiner Geburt, wurde mein Vater kurzfristig verfolgt, da er eine sozialistische Gesinnung pflegte und nichts von den Nationalsozialisten hielt. Sie kamen zu meiner Großmutter und wollten meinen Vater festnehmen, allerdings konnte er fliehen.
Da mein Vater nicht hinter der Ideologie der Nationalsozialisten stand, versuchte er auch später alles, um nicht eingezogen zu werden. Er war Former im Eisenbetrieb Brüchmann, deshalb wurde er von seiner Firma „uk“ gestellt, was bedeutete, er war für die Firma unabkömmlich.
Musste Ihr Vater trotzdem in den Krieg?
Am Anfang des Jahres 1942 half diese „uk“-Stellung nicht mehr und er wurde trotzdem eingezogen und musste in den Krieg. So kam es, dass er im April 1945 in russische Gefangenschaft geriet. Als er von den Amerikanern „befreit“ wurde, musste er in Erdlöchern hausen, es gab nicht genug Platz und keine Unterkunft für die Gefangenen. Später wurde er den Engländern übergeben und war dann in Bargteheide in Gefangenschaft. Als die Gefangenen gehen durften, wurden zuerst die Landarbeiter entlassen. So gab sich mein Vater als Landarbeiter aus und kam frei. Er nahm einen 18-jährigen Jungen aus den Vierlanden mit und sie liefen zu Fuß von Bargteheide nach Bergedorf.
Waren Sie direkt vom Nationalsozialismus betroffen?
In der Schule mussten wir den Anfang des Tages mit dem Hitlergruß beginnen und die Nationalhymne singen. Solange diese dauerte, musste der Arm oben bleiben.
Außerdem musste ich mit 10 Jahren zum BDM (Bund Deutscher Mädel), doch meine Mutter ließ mich freistellen, indem sie erzählte, ich müsse ihr bei der Haus- und Gartenarbeit helfen.
Was haben Sie direkt vom Krieg mitbekommen?
Immer wieder gab es Fliegeralarm. Egal wo wir uns befanden, bei Fliegeralarm musste man schnell nach Hause rennen und Schutz in einem Bunker suchen. Allerdings hätten die Bunker einen sowieso nicht geschützt, denn in Bergedorf gab es nur wenige Bunker, die einem Angriff standgehalten hätten.
Wie war die Versorgung mit Lebensmitteln im Krieg?
Die Versorgungslage war sehr schlecht, die Essensmarken reichten hinten und vorne nicht. Die Menschen wurden in Kategorien eingeteilt: Schwangere und Kranke bekamen etwas mehr zu essen, aber auch das reichte nie. Wir mussten selber backen, um nicht zu verhungern.
Zum Glück war mein Vater im Zweitberuf Hausschlachter und, weil er dadurch die Möglichkeit hatte schwarz zu schlachten, hatten wir ab und zu Fleisch. Gott sei Dank hatten wir einen großen Schrebergarten, also hatten wir auch Obst, von der Erdbeere bis zur Quitte. So konnten wir Obst einkochen oder selber Säfte herstellen. Außerdem hatten wir Glück, dass wir in unserem Schrebergarten auch Hühner, Kaninchen und sogar ein Schwein halten konnten. Das alles hat uns wohl das Leben gerettet, sonst wären wir vermutlich verhungert.
Wir war die Versorgung mit anderen wichtigen Dingen geregelt?
Es gab zwar auch Textilmarken, Bezugsscheine, doch trotzdem musste man Schuhe, wenn sie zu klein wurden, vorne aufschneiden, sodass die Zehen rausguckten. Im Sommer sind wir deswegen sogar barfuß gelaufen.
Die Winter waren sehr hart und wir hatten kaum etwas zum Heizen. Mein Bruder und ich sind deshalb am Güterbahnhof Kohlen klauen gegangen. Mein Bruder kletterte auf die Züge und warf die Kohlen dann zu mir. Viele Leute taten dies.
Haben die Menschen mitbekommen, was in den Konzentrationslagern passierte?
Das, was in den KZ`s passierte, haben viele gewusst, aber keiner durfte es laut sagen. Nur hinter vorgehaltener Hand unterhielten sich die Erwachsenen darüber, wir Kinder wurden sowieso immer aus dem Raum geschickt. Es war auch Zwang Hitler zuzujubeln, bei bestimmten Anlässen musste man sogar Fahnen aus dem Fenster hängen. Man hatte keine Wahl, man musste mit „Heil Hitler“ grüßen und bei den vorgeschriebenen Ritualen mitmachen.
Wie war das nach dem Kriegsende?
Nach dem Ende des Krieges stürmten die entlassenen Gefangenen einmal die Stuhlrohrfabrik. Die Menschen, die in Bergedorf lebten, rannten natürlich hinterher. Mir gelang es Kerzen zu erbeuten, worauf ich sehr stolz war. Später gab es in der Schule englische Schulspeisung, die allerdings nicht schmeckte. Ich war sehr zierlich, deshalb bekam ich eine Zeitlang auch die schwedische Schulspeisung, welche viel besser schmeckte. Leider bekam man die nur eine kurze Zeit, danach gab es wieder die englische Schulspeisung.
Als im Juli 1948 die Währungsreform kam, gab es plötzlich alles zu kaufen. Das „Kopfgeld“ betrug 40 Deutsche Mark pro Nase und das Gesparte wurde 1:10 umgetauscht. Alles, was wir uns nur wünschen konnten, gab es plötzlich vor allem auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Damit wurde alles besser und wir mussten nicht mehr hungern.
Frau Z. musste auch im Krieg in den Bund deutscher Mädchen eintreten […] Dass Frau Z. Mischling zweiten Grades war, war beim BDM kein Problem. Sie durfte nur nicht Anführerin werden, was sie aber auch gar nicht wollte.
Meine Kinder erziehe ich zu allererst auf Deutsch, da für mich die deutsche Sprache am wichtigsten ist, weil wir ja in Deutschland leben. Wenn meine Kinder Deutsch später gut können, dann können sie meinetwegen auch Türkisch bzw. Kurdisch lernen.
Auch in der Nachkriegszeit ging das Leben weiter und die Menschen versuchten, das beste aus ihren Leben zu machen und ihr Dasein so schön wie möglich zu gestalten. Das bewies uns die damals neunjährige Doris Braun in ihrem Interview.
Wir trauern um die Redaktionsmitglieder, die uns für immer verlassen haben.
Unsere Ziele sind relativ schnell formuliert. Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Erinnerungskultur leisten, indem wir individuelle Geschichten und Erfahrungen einer breiten Masse zugänglich machen. Ebenso fördern wir mit unserem Projekt auf unterschiedlichen Ebenen den Austausch zwischen verschiedenen Generationen, die viel voneinander lernen können