14.11.2024
In dem Kafka Museum in Prag ist es möglich viel über das Leben Franz Kafkas zu erfahren und über seinen Bekanntenkreis, unter anderem Max Brod, ebenfalls Schriftsteller. Brod stellte Kafka Berta Fanta vor, die seit 1907 jeden Dienstag in ihrem Haus zum Fantakreis einlud und alle zwei Wochen im Café Louvre in der Prager Ferdinandstraße zu einem Philosophenzirkel. Dieses Zusammentreffen beherbergte viele bekannte Persönlichkeien, in ihrem Salon im Haus zum Einhorn am Altstädter Ring in Prag verkehrten Christian von Ehrenfels, Philipp Frank, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Albert Einstein, Rudolph Steiner und andere Größen des Kulturlebens in Prag. In diesem Essay möchte ich somit auf die intellektuelle Szene Prags eingehen und diesen philosophischen Zirkel genauer betrachten. Die Gastgeberin Berta Fanta, eine geborene Sohr, kam am 19. Mai 1865 in Libochowitz in einer reichen jüdischen Familie zur Welt, ging zur Schule für höhere Töchter in Prag und heiratete 1884 den Apotheker Max Fanta. Sie studierte Philosophie an einer Deutschen Universität in Prag und war mit ihrer Schwester, im Frauenverein Frauenfortschritt tätig. Aufgrund ihres Studiums kam vermutlich die Idee einen intellektuellen Zirkel zu gründen.
Im Oktober 1903 zog die Familie Fanta in das Haus “Zum Einhorn”, im Erdgeschoß führte Max Fanta die Apotheke. Im 18. Jahrhundert wurde in diesem Haus bereits eine Apotheke nachgewiesen. Das Haus hat außerdem einen weiteren geschichtlichen Hintergrund, denn die Opernsängerin Josefine Dušek wurde dort geboren, eine Freundin Mozarts, die diesen auch finanziell unterstützte. In der Privatwohnung über der Apotheke führte Berta einen kulturellen Salon, in diesem wurde musiziert, vorgelesen und diskutiert. Man las gemeinsam philosophische Werke von Kant, Fichte und Hegel. Kafka, besuchte ebenfalls ab und an Veranstaltungen, wie bereits erwähnt mit seinem Freund Max Brod, er wurde dort sehr für seinen Humor geschätzt. Außerdem verliebte sich die Tochter Else Fanta in ihren jungen Jahren in Kafka und schrieb ihm ein Gedicht, namens “Erinnerung für F. K.”
Dieses Gedicht weicht sehr von Kafkas bekannten Selbstbeschreibungen ab und ist daher von noch größerem Wert. Else beschreibt ihn mit den Sätzen ,,Und deine Worte: Freundschaft, Güte tragend vielleicht – Unsterblichkeit”.
Ihre Mutter Berta Fanta wusste auch mit Worten umzugehen, denn sie beschreibt in ihrem Tagebuch ihre Bekannten mit dem folgenden Satz ,,Manche Menschen sind für mich wie Wind und Welle, sie erfrischen mich, regen die Oberfläche meines Wesens ein wenig auf und verschwinden dann für immer.“ Berta Fanta versuchte täglich traditionelle Schranken, durch ihr gesellschaftliches Engagement zu überwinden und brach auch im Privatleben einige Stereotypen, beispielsweise mit ihrer Kleidung. In ihrem Tagebuchaufzeichnungen lässt sich erkennen, dass Fanta eine Verehrerin Wagners und Nietzsches war. Die Auseinandersetzung mit Literatur, Philosophie und den Künsten verstand sie als ihre Arbeit, als Lebenszweck und Ausdruck ihres „Willens zur Macht“, wie sie mit Nietzsche formuliert. Berta Fanta wollte Herrin über die Interpretation ihrer Lebensumstände sein, was ihr herzlich gelang. Sie hat ebenfalls wie Kafka einen jüdischen Hintergrund, der sie in ihrem Leben aber nicht allzu sehr beschäftigte. In ihrem späteren Leben emigriert sie jedoch mit ihrer Tochter nach Palästina, jedoch mehr aus Interesse als aus religöser Überzeugung, dort lernt sie hebräisch. Dieser Werdegang lässt sich auch bei Kafka erkennen, der seine geringe jüdische Überzeugung seinem Vater anheftete, der nur an bestimmten Feiertagen in die Synagoge ging und im Allgemein wenig über das Judentum sprach. Kafka lernte ebenfalls in seinem späteren Leben hebräisch und beschäftigte sich auf einer spirituellen Ebene mehr mit seiner Religion, dank seiner späteren Freundin Dora Diamant. Offenbar habe Berta Fanta genau das Leben geführt, das sie wollte.
Max Brod war bestürzt, als er im Dezember 1918 vom Tod Berta Fantas erfuhr. An Kafka schrieb er damals „Ich habe diese Frau wirklich sehr gern gehabt. Sie war ein ganz reiner Mensch und gegen ihre kleinen Fehler führte sie einen leidenschaftlichen Krieg. Immer hat sie so am Leben gehangen, den Tod gefürchtet, über die Unsterblichkeit philosophiert. (…) Ich könnte dir noch stundenlang von dieser ungewöhnlichen Frau schreiben, die dir wohl nicht so nahe gestanden ist, deren Tod aber für mich einen wirklichen Verlust bedeutet.“ Heutzutage gibt es wenig Erinnerungen an die starke, unabhängige und schlaue Frau, lediglich eine Plaktette an ihrem alten Haus und einen Glaskasten im Kafka Museum.
In ihrem Kreis verkehrte sie mit Rudolph Steiner und beschäftigte sich mit seiner Theosophie. Im Jahr 1912 war sie unter den Gründerinnen der anthroposophischen Gesellschaft in Prag, die sie auch leitete. Prag gehört zu den Städten, die eng mit dem Lebenswerk Rudolf Steiners verbunden sind. Es war eines der ersten Zentren der anthroposophischen Bewegung und kann sogar für sich beanspruchen, die Stadt außerhalb der rein deutschsprachigen Gebiete zu sein, die Rudolf Steiner am häufigsten besuchte. Verschiedene Zeitgenossen bezeugten, dass Rudolf Steiner diesen Ort sehr gerne aufsuchte und die “Goldene Stadt” sogar liebte. Er äußerte mehrfach seine Dankbarkeit darüber, dass seine Vorträge in Prag so positiv aufgenommen wurden. Ohne Zweifel spielte in diesem Zusammenhang auch die besondere Aura der Stadt eine Rolle – einer Stadt mit einer tausendjährigen geistigen Tradition, in der die Kulturströmungen aus allen Richtungen Europas zusammenflossen und von hier aus wieder in alle Himmelsrichtungen ausstrahlten. Wie aus einem Brief vom 19. März 1912 von Frau Fanta an Rudolf Steiner hervorgeht , gründete Frau Fanta in ihrem Hause eine selbständige theosophische Gruppe mit 21 Mitgliedern. Schon im Dezember 1912 verwandelte sich diese Gruppe in die erste anthroposophische Gruppe in Prag namens Bolzano. Im Untergeschoß des Hauses befand sich der Tycho-de-Brahe-Saal, der in der Zeit zwischen beiden Kriegen der anthroposophischen Arbeit und auch dem Wirken der Christengemeinschaft diente.
An den Vorträgen Rudolf Steiners nahmen auch Albert Einstein und Max Brod teil. Während Albert Einstein nach einem der Vorträge «Wie widerlegt man Theosophie?» bzw. «Wie verteidigt man Theosophie?» einer Besucherin seine Zweifel über Rudolf Steiners Kenntnisse der nicht- euklidischen Geometrie zum Ausdruck gebracht haben soll, äußert sich Max Brod in seinem Aufsatz «Höhere Welten» über Rudolf Steiners Vortrag zwar kritisch, aber auch mit Bewunderung. Rudolf Steiners Lehre, die Anthroposophie, ist eine spirituelle Weltanschauung, die Wissenschaft, Kunst und Religion vereint. Sie basiert auf der Idee, dass der Mensch durch inneres Streben und Selbsterkenntnis höhere spirituelle Wahrheiten erfassen kann. Steiner sieht den Menschen als Wesen, das aus Körper, Seele und Geist besteht, und betont die Verbindung von materieller und geistiger Welt.
Auch Einstein widmete dem philosophisch-literarischen Debattierzirkel im Salon Bertha Fanta auf dem Prager Altstädter Ring große Aufmerksamkeit. In der Apotheke „Zum Einhorn“ traf sich nicht nur die jüdische Jeunesse dorée, sondern auch die musikalische und literarische Gesellschaft aus der jüdischen Altstadt. Einstein war ebenfalls leidenschaftlicher Musiker und Debattierer. Einstein wurde in diesem Salon gern gesehen und nahm an den literarischen Diskussionen und an den Musikveranstaltungen teil. Sehr gerne verweilte Einstein bei der Familie Winternitz in der Prager Altstadt.
Professor Moriz Winternitz war Indologe und Ethnologe und beschäftigte sich mit Sprache, Religion und Ethik. Unterschiedliche Vorlieben der beiden Wissenschaftler waren kein Hindernis für den Meinungsaustausch und für die Roundtable-Debatten. Max Brod und Berta Fanta verband eine enge Freundschaft, die sowohl durch ihre gemeinsame intellektuelle Leidenschaft als auch durch ihr gemeinsames Umfeld geprägt war. Ihr Salon war ein Zentrum der geistigen Auseinandersetzung und des Austauschs, für Max Brod, das sich besonders für philosophische, literarische und spirituelle Themen interessierte. Berta Fanta war tief in der deutschen und jüdischen Kultur Prags verwurzelt, und sie stand der Philosophie Rudolf Steiners nahe, was sie mit Brod und vielen anderen Intellektuellen dieser Zeit verband.
Max Brod, der selbst ein bedeutender Schriftsteller und enger Freund von Kafka war, fand in Fanta eine Gleichgesinnte, die seine geistigen Interessen teilte. Berta Fantas Salon bot Max Brod nicht nur eine Bühne für den Austausch mit anderen Intellektuellen, sondern auch eine inspirierende Umgebung, in der er seine eigenen philosophischen und literarischen Ideen weiterentwickeln konnte. Um 1900 befand sich die jüdische Kultur in Europa in einer Phase des Umbruchs und der Erneuerung, stark geprägt von der Moderne, den politischen Veränderungen und den sozialen Herausforderungen dieser Zeit. Viele jüdische Gemeinden waren in dieser Zeit zwischen Assimilation und Tradition hin- und hergerissen. Nach Jahrhunderten der Marginalisierung und Diskriminierung war die jüdische Bevölkerung in vielen europäischen Ländern allmählich rechtlich emanzipiert worden. Besonders im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn öffneten sich für viele Juden neue soziale und wirtschaftliche Chancen. Diese Entwicklung führte jedoch auch zu Spannungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaften. Während sich viele an das kulturelle Leben der Mehrheitsgesellschaft anpassten, hielten andere an traditionellen Werten und Praktiken fest.
Antisemitismus war trotz der Emanzipation weit verbreitet und nahm sogar neue Formen an. Juden wurden zunehmend nicht nur auf religiöser, sondern auch auf ethnischer Grundlage diskriminiert. Die Zeit war geprägt von einer kulturellen Renaissance unter jüdischen Intellektuellen und Künstlern. Viele jüdische Denker spielten eine zentrale Rolle in der Philosophie, den Wissenschaften, der Literatur und der Kunst. Berühmte Persönlichkeiten wie Sigmund Freud in der Psychologie, Albert Einstein in der Physik und Franz Kafka in der Literatur schufen Werke, die die Moderne entscheidend prägten. Somit ist die Gruppe von Berta Fanta vermutlich eine von vielen Gruppen, die jüdisch geprägt war. Die kulturelle Szene Prags ist vielschichtig und gibt einen tiefen Einblick in die Moderne, Industrialisierung und das Judentum. Viele bekannte Persönlichkeiten haben eine persönliche Verbindung mit Prag und lehrten und lernten in verschiedenen Bereichen, oft geht diese Prägung unter und gerät in Vergessenheit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Berta Fanta eine unglaublich emanzipierte und intelektuelle Frau war, die vermutlich viele berühmte Persönlichkeiten mit ihrem philosophischen Zirkel geprägt hat.
Prag war um 1900 kulturell sehr bedeutend und bat Platz zum Debattieren und Lachen. Der Austausch über Rudolph Steiners Model der Anthroposophie, Albert Einsteins Relativitätstheorie und Werke von Max Brod brachten einen regen Austausch, aber auch die Werke von Kant und Hegel blieben nicht undebattiert. Musiziert und inszeniert wurde ebenfalls in der Privatwohnung der Familie Fanta. Umso trauriger ist es, dass Berta Fanta so in Vergessenheit gerät und nur durch Zufall Beachtung durch ihre Plakette am Haus oder wie bei mir durch das Kafka Msueum bekommt. Ihre Tagebücher wurden im Buch “Weil der Boden selbst hier brennt: Aus dem Prager Salon der Berta Fanta” mit Anmerkungen ergänzt und bieten auch einen Einblick in unsere geschätzten Persönlickeiten, Kafka, Brod und Einstein. Die jüdisch-deutsche Szene in Prag hat einen unschätzbaren Wert und der Besuch zeigt einem neue Facetten.
Somit ist mein persönliches Fazit von Prag, dass ich im Nachhinein bereue diese Analyse nicht schon vorher geschrieben zu haben um das Haus Fantas zu besuchen und mir einen eigenen Einblick von diesem höchst intelektuellen Ort zu verschaffen. Prag versteckt viel Geschichte in den Altbauwohnungen der Innenstadt.
Samira
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